Der lachende Vogel XVII

Logo Script_blog

Als Prior Johannes nach dem Abendessen hinaus in den Garten trat, empfing in ein sternklarer Nachthimmel. Die Sichel des Mondes lag wie eine Wiege am Himmel.

Spontan beschloss er noch einen kleinen Spaziergang zu machen. Es gab einen kleine Rundweg um das Klostergelände. Dieser war ihm so vertraut, dass er selbst in der Dunkelheit sicher einen Fuß vor den anderen setzen konnte.

Seit der lachende Vogel sich das erste Mal gezeigt hatte, war sein Leben irgendwie in Unruhe geraten. Er musste häufig an dieses seltsame Geschöpf denken. Manchmal wünschte er ihn geradezu herbei. Er war erfüllt von einer tiefen Neugier. Der Vogel hatte den Gleichklang seines Alltags angenehm aufgewühlt.

Etwas rührte sich plötzlich im Unterholz und ließ den Prior aufschrecken. Er hielt an. Es wird eine von den Katzen des Nachbarbauern sein, dachte er. Sicher auf der Jagd nach Essbarem.

Nun war ein Flattern zu hören. Gleich dachte der Prior an den lachenden Vogel.

„Hör zu, zeige dich! Du brauchst dich nicht zu verstecken.“

„Warum sollte ich mich verstecken? Dazu gibt es nicht den geringsten Grund.“

„Hast du mich erwartet“, fragte der Prior etwas verlegen. Ihm fiel nichts Besseres ein.

„Nun ja, ich bin meist da, wenn mich die Menschen brauchen.“

„Brauchen? Wie kommst du darauf, dass ich dich brauchen könnte?“

„Es ist doch so. Hast du nicht gerade noch an mich gedacht?“

„Wie kommst du darauf?“

„Ich weiß es.“

Der Prior sah immer noch zu der Stelle im Unterholz, wo er den Vogel vermutete.

„Nun“, setzte der Vogel von neuem an, „sag mir, was beschäftigt dich?“

So recht konnte der Prior das Gehörte nicht glauben. Nach einer Weile fand er seine Fassung wieder.

„Ich weiß ja nicht, was du zu wissen glaubst. Ich glaube kaum, dass du Gedanken lesen kannst.“

Der Prior schwieg erneut eine Weile.

„Auf jeden Fall freue ich mich, dich beim meinem Abendspaziergang noch getroffen zu haben.“

„Dachte ich mir doch.“

Der Prior merkte, wie leichter Ärger in ihm aufstieg. Er besann sich jedoch schnell und beschloss, diesem nicht weiter nach zu gehen.

„Ich hatte heute einen angenehmen Tag, weiß du. Ja, ich kann sagen, er war erfolgreich. Die Studenten in der Stadt sind den Ausführungen meines Vortrages gerne gefolgt. Manchmal hatte ich sogar den Eindruck, sie würde an meinen Lippen kleben. Die Rückfahrt aus der großen Stadt war mühsam und beschwerlich. Heute Abend hatten wir ein wunderbares Abendgebet. Ich bin jetzt noch erfüllt von dieser großartigen Orgelmusik.“

„Und doch“, setzte er nach einer kurze Gedankenpause fort, „spüre ich seit Tagen eine merkwürdige Unruhe in mir. Es ist doch nichts vorgefallen… und doch ist da etwas, was in mir arbeitet.“

„Sei froh du lebst.“

„Es ist aber unangenehm.“

„Darf ich dir eine Geschichte erzählen?!“

„Nur zu.“

Der lachende Vogel begann zu erzählen:

Einst kam ein Schüler zu seinem Meister und fragte ihn:

„Meister, ich spüre eine große Unruhe in mir. Wie kann ich sie loswerden.“

„Mein Sohn, sei froh, dass du diese Unruhe in dir spürst.  Sie hält dich am leben.“

„Wie denn das, sie nimmt mir den Atem.“

„Sieh, die Unruhe in dir ist doch nicht da, um dich am Leben zu hindern.“

„Was dann, wenn ich vor lauter Unruhe nicht aus noch ein weiß.“

„Mein Sohn, geh einige Tage in Klausur. Sprich mit niemanden und halt dich fern von anderen Menschen.“

Der Schüler tut wie ihm geheißen. Nach einigen Tagen kehrt er zum Meister zurück.

„Wie ist es dir ergangen?“, will der Meister wissen.

„Eigentümlich.“

„Eigentumlich?“

„Ja, eigentümlich. Schon am ersten Tag verschwand die Unruhe in mir. Ich spürte zum ersten Mal in meinem Leben einen ungeheuren Frieden.“

Der Meister sah den Schüler mit einem milden Lächeln an.

„Die willst mir doch nicht raten, in Klausur zu gehen?“, fragte der Prior mit einer Mischung aus Verwunderung und leichtem Spott.

„Warum nicht“, entgegnete der lachende Vogel.

„Weil mein Leben eine einzige Klausur ist.“

„Du lebst wohl mit deinen Brüdern an einem zurückgezogenen Ort. Dennoch habt ihr euren Tagesablauf, eure Aufgaben und euer Miteinander. Wenn du ehrlich bist, bleibt nicht viel Zeit zum Insichgehen. Oder?!“

„Du hast nicht ganz Unrecht… vielleicht sollte ich einige Tage des Schweigens einlegen. Jetzt, wo du mich darauf bringst, wird mir klar, dass ich dies schon länger nicht gemacht habe.“

„Das hört sich gut an.“

„Morgenfrüh werde ich gleich mit Bruder Georg sprechen, dass ich bis zum Wochenende in die Stille gehe. Er wird mich in den wichtigen und notwendigen Dingen vertreten.“

In der Nacht hatte der Prior einen intensiven Traum:

Er war in seinem Besprechungszimmer. Als er das Gesicht der Frau sah, die zu ihm gekommen war, erkannte er sie sofort. Es war jene Frau, die ihn vor Jahren aufgesucht hatte, weil ihr Bruder entführt ermordet worden war. Sie war offensichtlich gekommen, um ihn zu besuchen. Ihr Gespräch verlief vertraut, wie unter Freunden. Immer wieder lächelte sie ihn an, was ihn mehr als verwirrte. Sie erkundigte sich nach seinem Befinden, fragte nach seiner Familie. Als sich beim Gehen verabschiedete, nahm sie ihn in den Arm. Sie drückte ihn an sich. Er fühlte die Wärme ihres Körpers. Für Augenblicke schien es, als würde sie in nicht wieder loslassen… und es war ihm nicht unangenehm. Er roch ihr Parfum. Es hatte eine frische Note. Er spürte wie ihre rechte Hand leicht über seinen Rücken strich. Er zuckte zusammen.

Dies war der Moment, als der Prior erwachte. Seltsam berührt, ging er dem gerade Geträumten nach. Er spürte ein leichtes Brennen im Hals.