An der Tür war ein leises Klopfen zu hören. Der Prior wandte sich zur Tür.
„Herein“, sagte er mit kaum hörbarer Stimme.
Bruder Georg trat ins Zimmer.
„Bruder Johannes.“
Der Prior öffnete die Augen. Wortlos.
„Wie geht es dir, mein Lieber?“
Der Prior nickte leicht mit dem Kopf.
„Lass mal, ich will dich nicht weiter stören. Ich wollte nur nach dem Besten sehen. Kann ich dir mit etwas helfen?“
„Ich habe nur Durst.“
„Gut, dann lasse ich aus der Küche noch etwas von dem Heiltee bringen. Ach, übrigens, ich habe deinen Gesprächstermin absagen und mitteilen lassen, dass du dich nach deiner Genesung wieder meldest. Komm bald wieder auf die Beine! Aber nimm dir die Zeit, die du brauchst.“
Der Prior nickte verständnisvoll.
Bruder Georg war noch nicht aus dem Zimmer, als er schon wieder in den Schlaf gefallen war.
Der Prior befand sich immer noch im Dschungel. Die Dämmerung hatte merklich eingesetzt. Er konnte kaum noch etwas erkennen. In Kürze würde die schwarze Dunkelheit über ihm hereinbrechen. Erneut ergriff in Panik.
Unerwartet erblickte er plötzlich einen matten Lichtschein. Dieser setzte neue Kraft in ihm frei. Er beschleunigte, soweit es ihm noch möglich war, den Schritt. Er fiel noch einige Male, da er kaum ausmachen konnte, was sich ihm gerade in den Weg stellte. Mit Mühe fand er auf die Beine zurück.
Endlich erreichte er eine Lichtung. Mitten auf ihr befand sich eine kleine Hütte aus Bambus. Der Lichtschein, der aus der türlosen Öffnung trat, erleuchtete den Eingangsbereich.
Der Prior trat zögernd ein.
Verwundert sah er sich um. Niemand war zu erkennen. Dachte er, bis er in einer Ecke sitzend einen Vogel erkannte.
„Tritt ein,“ begrüßte dieser ihn freundlich.
„Ich habe dich erwartet.“
„Erwartet?“
„Ja. Ich hatte mir schon Sorgen gemacht, dass du den Weg hierher doch nicht mehr vor der Nacht findest. Der Sturz am Bach hat dich aufgehalten.“
„Woher weißt du…?“
„Manch dir keine Gedanken“, unterbrach ihn der Vogel.
„Was führt dich zu mir?“
„Wie, zu dir?“
„Nun ja, du wirst doch mit irgendeinem Anliegen gekommen sein.“
„Ich verstehe nicht recht.“
„Nun, nimm erst einmal Platz.“
Der Vogel zeigte auf eine Matte aus Palmblättern. In der Mitte der Hütte brannte ein Feuer. Der Rauch zog durch eine kreisrunde Öffnung im Dach.
„Also, nehmen wir mal an, dich hätte etwas Konkretes zu mir geführt, was könnte es sein?“
„Ich fühle mich im Augenblick orientierungslos. Ich befand mich plötzlich hier in diesem Dschungel und wusste nicht so recht wohin.“
„Passiert dir dies öfters in deinem Leben.“
„Weiß nicht. Manchmal würde ich gerne wissen, was mich in der Zukunft erwartet.“
„Und du glaubst ich könnte dir weiterhelfen?“
„Ich glaube nicht. Aber wenn du mir etwas sagen kannst, dann will ich dir zuhören.“
„Es ist nicht immer und es könnte auch anders sein.“
„Was? Wovon redest du?“
„Du wolltest doch etwas über die Zukunft hören.“
„Ja, das, was du sagst, verstehe ich aber nicht.“
„Es ist nicht immer und es könnte auch anders sein.“
„Ich nicht schwerhörig. Ich habe deine Worte sehr wohl gehört, aber nicht verstanden.“
„Ich sag es dir auf andere Weise: Du suchst das Gewohnte in der Zukunft. Die Brücke in die Zukunft ist die Vergänglichkeit.“
„Ich kann dir nicht folgen.“
„Als dauerhaft anzusehen, was vergänglich ist, ist töricht.“
„Jetzt reicht es mir aber langsam. Willst du mich provozieren.“
„Ganz und gar nicht. Beim Blick in die Zukunft schaust du zurück, holst in Erinnerung, was gewesen ist, versuchst es festzuhalten und in die Zukunft zu tragen.“
„Ist das so verwerflich, sich das, was einem Glück bereitet hat, für die Zukunft zu wünschen?“
„Darauf kommt es nicht an. Die Frage ist, was geschieht, wenn sich das Glück dann doch nicht wieder einstellt?“
„Dann geht es mir schlecht und ich leide.“
„Und willst du das?“
„Natürlich nicht.“
„Warum hältst du daran fest, wenn es dich unglücklich macht? Oder hast du Freude am Leiden?“
„Ganz und gar nicht.“
„Dann lass los. Die Kraft für dein Leben entfaltet sich auf eine Zukunft hin, trotz allem, was die Vergangenheit ausgemacht hat. Spüre die Kraft in dir!“
Der Prior war verwirrt und erleichtert zugleich. Sein Blick und seine Gedanken verloren sich in den Flammen des Feuers. Als er wieder aufsah, war der Vogel verschwunden.