Der Lachende Vogel II,X

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Den nächsten Tag schlief der Prior lange, tief und traumlos. Sein Inneres schien vorerst zur Ruhe kommen zu sein. Gegen Abend besuchte ihn Bruder Georg.

„Du gefällst mir schon besser. Gestern sahst du aus, als würdest du mich den Mächten der Hölle kämpfen.“

„So habe ich mich auch gefühlt.“

„Willst du heute reden?“

„Reden?“

„Ja, über das, was dich beschäftigt.“

„Denkst du gelegentlich über dein Leben nach?“

„Mein Leben?“

„Ja, unser Leben hier als Brüder, fern von allem was Menschen sonst miteinander teilen: Alltag, Liebe, Schmerz. Du weist schon.“

„Ist unser Leben so ungewöhnlich?! Ich finde nicht. Es gibt Unterschiede zu dem Leben da „Draußen“, wie man so schön sagt. Du hörst dich gerade so an, als würdest du etwas vermissen.“

„Du nicht?!“

Bruder Georg schwieg. Er schien in sich zu gehen.

„Vermissen ist vielleicht die falsche Umschreibung. Ich würde eher sagen, es bleibt so etwas wie Neugier.“

„Neugier. Jetzt bist du aber sehr zurückhaltend in deiner Formulierung. So kenne ich dich gar nicht, Georg. Ist es nicht doch mehr als Neugier? Eine heimliches verstecktes, verborgenes Sehnen, nach…“

„Nach was?“

„Nach einem Gegenüber… nach Austausch… Zärtlichkeit und vielleicht sogar Leidenschaft.“

„Leidenschaft ist das, was Leiden schafft.“

„Georg, du lenkst ab. Tu doch nicht so vernünftig. Du fragst mich, was mich bewegt… und wenn ich dir antworte, ziehst du dich zurück und versteckst dich hinter einer altklugen Redensart.“

„Willst du wirklich wissen, was ich dazu denke.“

„Nur los!“

„Nicht, dass ich so weltfern wäre, wie es sich gerade anhört. Aber, im Grunde bin ich froh, dass ich nicht Teil des täglichen Beziehungsdramas bin, von dem wir so viel zu hören bekommen. Mich nicht fragen muss, wie ich sein kann, darf, soll. Keine Erwartungen und Ansprüche zu erfüllen habe und nachts schlaflos im Bett liege und mich frage: Warum, warum nur all dies?“

„Wäre es, nur mal hypothetisch gedacht, nicht dennoch kostbar, sich dem Geschlechterkampf ganz und gar hinzugeben, sich zu finden und zu verlieren in einem Du.“

„Nein, danke, lieber nicht. Das, was ich zu Hause erlebt hat, hat gereicht.“

„Glaubst du nicht, dass Gott mit der Partnerschaft etwas geschaffen und was so viele Jahrtausende überdauert hat und immer noch wert ist…“

Bruder Georg unterbrach den Prior.

„Du hörst dich an, wie jemand auf der Heiratsmesse. Tut mir Leid, ich kann dir nicht ganz folgen.“

„Warst du nie verliebt?“

„Was soll denn das. Natürlich war ich als Jugendlicher verliebt. Aber Schmetterlinge im Bauch reichen doch nicht aus.“

„Was eine Beziehung auf Dauer trägt ist doch mehr.“

„Ja, und wir reden so häufig davon… und wissen es doch besser, wie die Jahre und die Gewohnheit allen Glanz aus einer Beziehung nehmen können.“

„Können, du sagst es. Es kann aber auch anders sein. Ist es nicht an uns, diesen Funken Hoffnung hochzuhalten, wenn, ja wenn wir schon selbst uns von dieser Herausforderung fern halten.“

Bruder Georg wusste spontan nichts mehr zu entgegnen. Ihm schienen die Argumente auszugehen. Er sah auf die Uhr.

„Johannes, ich freue mich über deinen Biss im Argumentieren. Dir scheint es wirklich besser zu gehen. Gerne können wir ein anderes Mal weiter reden. Es ist Zeit. Ich will mich in Ruhe auf den Weg zum Abendgebet machen.“

„Danke!“

„Wofür?“

„Dass du dich den verwirrten Gedanken eines fiebrigen Bruders ausgesetzt hast.“

„Gerne.“

„Höre ich da den Hauch einer Gefühlsregung. Komm her Bruder, lass dich umarmen.“

„Nun aber Schluss!“

Beide mussten lachen.