Der Lachende Vogel II,XVII

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Der Prior schüttelte entschieden den Kopf.

„Zweifel würde ich dies nennen. Ich muss etwas, das gewesen ist, nicht in Frage stellen, wenn sich meine Sicht der Dinge durch einen anderen Blickwinkel erweitert. Ich kann mir erlauben über die Liebe nachzudenken. Ich kann sie betrachten, wie ich sie bislang nie betrachtet habe. Ich kann Facetten entdecken, die jenseits meines eigenen Lebens und Erfahrungsbereiches liegen und muss doch nicht daran verzweifeln.“

„Du hast mich überzeugt.“

„Eine Antwort haben wir dennoch nicht gefunden: Wie kann der moderne Mensch wahrhaft lieben?“

„Indem er sich dem öffnet, was durch Gott in der Liebe angelegt ist. Aber Vorsicht: So wenig man Gott zwischen den Buchdeckeln findet, ist die Liebe irgendwo zu erwerben. Sie ist und bleibt in ihrer ursprünglichen Form als schöpferische Kraft Ereignis. Ein Ereignis, dass sich selbst in Szene setzt, dem man bestenfalls beiwohnt und es bewusst durchlebt.“

„Ich bin ergriffen, ohne bewusst die Hand nach etwas ausgestreckt zu haben.“

„So könnte man es ausdrücken.“

„Warte mal.“

Der Prior griff wieder zum vergilbten Buch und fand schnell die Stelle, die er gesucht hatte:

„Liebe ist nur möglich, wenn zwei Menschen sich aus der Mitte ihrer Existenz heraus miteinander verbinden.“

„Wohl wahr. Leider sind nur wenige Menschen wirklich bei sich und loten das Leben von der Mitte ihrer Existenz aus. Sie folgen eher dem allgemeinen Mainstream. Sie folgen den Pfaden, die ihnen durch Familie, Freundeskreis und Gesellschaft vorgeben sind.“

„Die Mitte der eigenen Existenz ist eine wunderbare Metapher. Ein Ort in uns, den zu beschreiben kaum möglich ist. Eine Art Zentrum, vom dem aus sich alles entfalten. Ein Ort der Ruhe und Kraft gleichermaßen. Ein Ort des Erschaffens und Regeneration. Ein Ort, an dem ich bin, noch bevor ich mich nach außen entfaltet habe. Ein Ort, an dem ich noch sein werde, wenn äußerlich kaum noch etwas an mich erinnert.“

„Manchmal ist darum Einkehr, Rückzug notwendig. Ein Hineinschauen in sich, eine Art Hineinhören, ein Wegschieben aller Alltäglichkeit. Der moderne Mensch ist heute ständig so sehr abgelenkt, dass er kaum zu sich finden kann. Es fehlt ihm an Konzentration.“

„Im Grunde ist er selten an dem Ort, an dem er sich gerade befindet. Und die neuen Medien tragen das ihre dazu bei.“

„Wenn es nun doch gelingt, sich auf sich zu konzentrieren, Zeiten der inneren Besinnung und Einkehr am Tag zu finden, diese Momente in einer Regelmäßigkeit gesucht werden, und dies wird harte Arbeit sein und ungeheure Disziplin erfordern, dann ereignet sich etwas geradezu Magisches: Ich erlebe mich wach und vital.“

„Es ist vielleicht die tiefste Seinserfahrung, die wir machen können, zu spüren, dass wir leben und zu erfahren, welche ungeheure schöpferische Kraft darin liegt und nach Ausdrucksform sucht.“

„Die Liebe, die sich so entfalten kann, wird zum einmaligen Ereignis. Sie wird nicht suchen und doch finden. Ein Du finden, das für einen Augenblick zum Gegenüber wird. Liebe, wahre Liebe, wie wir sie gerade beschreiben, wird nie einer inneren Gefühlregung verharren können. Sie muss sich zeigen, sichtbar werden für ein Du.“

„Mein Lieber, mir wird langsam schwindelig vom Fortgang unseres Gespräches. Vielleicht noch ein Gedanke, der sich mir nach deinen letzten Ausführungen aufdrängt: Eine so wie gerade beschriebene Liebe, eine Liebe als Begegnung zweier Menschen aus der Mitte ihrer Existenz geht im Gleichklang nicht auf. Sie schließt Konflikte genauso ein, wie Traurigkeit und existentielle Notlagen. Sie löst sich nicht in solchen Momenten auf, sondern entfaltet ihre Kraft auf besondere Weise. Von dieser besonderen Art der Liebe weiß ja auch Paulus zu berichten:

Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit; sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.

Ich glaube von der Liebe, die aus der Kraft Gottes kommt, kann man letztlich sagen, dass sie alle sonst zwischen Menschen geltenden Maßstäbe und Verhaltensweisen in Frage stellt.“

„Töricht der Mensch, der sich einer solchen Liebe verschließt.“