Der Lachende Vogel war längst wieder verschwunden, als der Prior immer noch mit starrem Blick in die schwarze Nacht schaute. Tränen liefen über die Wangen. Er schien innerlich ergriffen. Etwas ganz tief in seinem Inneren hatte sich geöffnet.
Er schluchzte.
Ein Geräusch stieg in ihm auf… ein seltsamer Urlaut.
Er rang wieder und wieder nach Luft.
So stand er noch lange da.
Er fror, merkte aber nichts davon.
Er schien nicht da zu sein, irgendwie entrückt.
Sehr viel später, als er wieder zu sich kam wandte er sich um und sah den lachenden Vogel wieder oder noch immer, er konnte es nicht recht sagen, auf dem Schreibtisch sitzend.
„Was ist mit dir, mein Lieber? Du scheinst völlig durch den Wind zu sein.“
Der Prior fand spontan keine Worte. Er schwieg.
Er brauchte lange bis er erste Worte fand.
„Ich kann nicht recht sagen, was gerade geschieht. Es ist, als ob sich tief in mir etwas geöffnet hätte. Etwas, von dem ich mir bislang zwar theoretisch vorstellen konnte, dass es da ist, aber es noch nie persönlich erlebt habe. Wie oft habe ich über das Eigentliche im Leben gesprochen. Versucht mit Worten zu umreißen, was das Leben im Innersten ausmacht und trägt… und nun mit einem Mal spüre ich, dass ich selbst Zugang dazu habe.“
„Zugang wozu?“
„Es ist im Grunde nicht in Worte zu fassen. Es ist und ist doch nicht. Ich kann es nicht so recht fassen… in Worte schon gar nicht.“
„Ist es in dir, oder bist du an einem anderen Ort?“
„Ich würde sagen, es ist in mir… gleichzeitig so anders, dass ich den Eindruck habe, ich bin gleichzeitig an einem anderen Ort. Das Gefühl ist sehr intensiv, kaum auszuhalten. Es ist ein Gefühl, getragen zu sein. So, als könnte einen nichts mehr etwas anhaben. Ein Gefühl von Unendlichkeit…“
„Du bist Gott ganz nahe gekommen.“
„Ja, und es ist so völlig anders, als alles, was ich bisher erfahren habe. Mein Ich scheint durchlässig geworden zu sein. Wenn diese Erfahrung mit Gott gleichzusetzen ist, dann ist Gott gerade ganz intensiv in mir.“
Der Prior hielt kurz inne, dann setzte er fort:
„Früher hätte es mir die Vorstellung einer solchen Erfahrung Angst gemacht, hätte nicht gewollt, dass etwas beziehungsweise jemand mir so nahe kommt. Hätte alles dagegen unternommen, die Kontrolle über mich selbst zu behalten. Im Augenblick kann ich mich ohne Furcht dieser Erfahrung einfach hingeben. Ich kann es geschehen lassen, weil… ja weil ich spüre, dass etwas mich auf angenehme Weise hält.“
„Du scheinst sehr wach und aufmerksam.“
„Das Gefühl habe ich auch. Gleichzeitig fühle ich innerlich eine große Anspannung, nein Konzentration. Alles erscheint viel deutlicher und klarer, als je zuvor. Intensiver, könnte ich auch sagen. Würde ich jetzt gerade Musik hören, würde ich sie gleichzeitig fühlen, vielleicht sogar riechen können. Würde ich jetzt Liebe zu einem anderen empfinden, dann würde dieses Gefühl meinen ganzen Körper und meine ganze Seele erfassen. Worte, die ich finden und aussprechen würde, wäre nicht einfach Wort. Es wären gleichzeitig Schwingungen, die mein Gegenüber verwandeln würden. Eine Umarmung, ein Kuss, ein Streicheln, wären so, als würde man selbst die Seele des Anderen bedächtig in den Händen halten.“
Der lachende Vogel schien nun selbst bewegt zu sein. Gespannt wartete er auf das, was der Prior als Nächstes sagen würde.
„In mir ist kein Raum mehr für Negatives oder Unangenehmes. Kein Gedanke der mich quält, kein Gefühl, dass mir den Atem nimmt.“
Das war das Letzte was der Prior für die nächsten Tage sagen würde.