Johannes trat hinaus in den Patio.
Längst war die Sonne untergegangen. Die Hitze des Tages hing noch in der Luft. Eine leichte Brise brachte etwas Abkühlung.
Johannes setzte sich in den alten mit bunten Gummibändern bezogenen Schaukelstuhl. Das Schaukeln hatte stets etwas Beruhigendes für ihn.
Die Kinder waren auf ihrem Zimmer.
In der Ferne hörte man ihre Stimmen.
Ein Lachen war zu hören.
Johannes versuchte herauszuhören, wer es war.
Er war sich sicher, er musste das Lachen von Camila sein. Ihr Lachen erinnerte ihn immer wieder an ein tragendes und gleichzeitig springendes Fohlen.
Sein Herz ging auf, wenn er die Kinder lachen hörte.
Es machte ihn glücklich.
Er erinnerte sich, wie ihn früher seine Mutter ausgekitzelt hatte, bis er sich vor lauter Lachen nicht mehr halten konnte und am Ende nach Luft rang und der Bauch schmerzte.
Johannes musste eingeknickt sein.
Plötzlich spürte er eine Hand auf seiner Schulter.
„Johannes!“
Er drehte sich leicht um und sah Felipe hinter sich stehen.
„Was ist, Felipe?“
„Darf ich mich zu dir setzen? Mich beschäftigt eine Frage.“
„Nur zu, setzt dich!“
Felipe nahm einen Klappstuhl und setzte sich.
„Du kennst die Geschichte von mir und meinem Bruder. Lange Zeit habe ich gedacht, weil wir unserer Zuhause verlassen mussten, sei es besser, nicht zurückschauen… sich keine Gedanken darüber zu machen, was war, sondern allein nach vorne in die Zukunft zu blicken. Seid einiger Zeit merke ich, dass ich oft an Zuhause denken muss. Ich träume davon, wie es wäre Zuhause zu leben… und manchmal erscheinen mir meine Eltern im Traum. Ich kann mit ihnen reden, so als ob sie gar nicht tot wären.“
„Was macht das mit dir?“
„Es macht mich traurig. Ich hätte gerne meine Eltern um mich, würde gerne nochmals nach Hause kommen, die Haustür öffnen und von meiner Mutter mit den Worten empfangen werden: Da bist du ja, mein Kleiner, wie ist es dir in der Schule ergangen? Hast du Hunger?“
„Ich kann dich verstehen?“
„Und manchmal frage ich mich, ob ich ohne sie überhaupt erwachsenen werden kann. Nichts gegen dich Johannes …“
„Mach dir keine Gedanken. Ich werde für dich nie so sein können, wie dein wirklicher Vater es sein konnte… und doch seit ihr mir sehr nahe gekommen… und ihr seid mir sehr wichtig.“
„Das weiß ich und bin auch sehr dankbar… wirklich!“
In Gedanken stand Johannes auf, ging auf Felipe zu und nahm ihn in den Arm.
Er blieb jedoch sitzen und lächelte ihn an.
„Kann es sein, dass im Leben, vieles doch ganz anders kommt, als man es sich wünscht?“
„Das kann man wohl sagen.“
„Ist es dann nicht besser, sich keine Gedanken über die Zukunft zu machen und nichts zu erwarten?“
„Dies könnte man denken. Vielleicht sollte man …“
Weiter kam Johannes nicht.
Mit einem Mal war Felipe verschwunden und der lachende Vogel saß vor ihm auf dem Klappstuhl.
„Was soll denn das?“
„Was?“
„Wo ist Felipe?“
„Felipe?“
„Ja, Felipe. Wo ist er? Gerade habe ich mich noch mit ihm unterhalten.“
„Wirklich?“
„Natürlich! Was denkst du?“
„Gar nichts.“
„Felipe!“, hörte Johannes Juan rufen.
Juan kam in den Patio und sah Johannes fragend an.
„Hast du Felipe gesehen?“, wollte Johannes wissen.
„Bis gerade war er noch hier. Ich habe mich mit ihm unterhalten.“
„Und wo ist er nun?“
„Ich weiß es nicht. Er war mit einem Mal verschwunden?“
„Verschwunden… das geht doch nicht.“
„Irgendwie doch.“
Juan verließ „Felipe“ rufend das Patio.
Johannes schüttelte ratlos den Kopf.
Als er erneut seinen Blick auf den Klappstuhl wandte, war der lachende Vogel ebenfalls verschwunden.
Später notierte Johannes einige seiner Gedanken vom Tage in seinem Notizbüchlein:
Hoffnung – Erwartung
Glauben – Vertrauen
Liebe – Gefühl
Was hätte Jesus zu diesen Wortpaaren gesagt?
Habt keine Erwartungen, den sie führen euch in die Irre. Erwartungen sind fixiert auf klare Vorstellungen. Geht stattdessen ohne Erwartung in den Tag und getragen von der Hoffnung, dass jeder Tag euch das geben wird, was ihr zum Leben braucht. Und wenn es aus eurer Sicht nicht das ist, was ihr erwartet habt, dann haltet an in der Hoffnung, dass das, was kommen wird, zum Guten geschehen wird.
Vertraut nicht dem, was vor Augen ist. Vertrauen unter Menschen wird zu leicht enttäuscht und muss enttäuscht werden, weil wir die Welt und das Leben um uns herum nur aus unserer Sicht wahrnehmen und im Grunde nicht erfassen können. Wir sind Blinde und geben uns für Sehende aus. Haltet stattdessen fest am Glauben und im Gebet. Der Glauben, der von Gott geschenkt wird, ist wie Balsam auf eure unruhige Seele. Vertrauen kann man verlieren, wenn es gebrochen wird. Glauben jedoch hält an einer möglichen Zukunft fest, selbst wenn das Vertrauen gebrochen wird.
Liebt mit ganzen Herzen und ganzer Seele, mit allem was in euch ist und mit allem, was ihr seid. Macht euch keine Gedanken um Gefühle. Sie kommen und gehen, wie die Sonne scheint und euch im einen Moment erwärmt und im nächsten Augenblick hinter einer Wolke verschwindet und ihr zu frieren beginnt. Gefühle können trügerisch sein. Lasst Gottes Liebe in euch wirken. Sie allein ist Quelle und Urgrund allen Seins.
Bevor Johannes die Augen zum Schlafen schloss, betete er und schloss die Kinder wie jeden Abend ein: „Gott glaubt an euch, weil er an eure Zukunft glaubt“, waren seine Worte, bevor er das Amen sprach.