Der lachende Vogel III,XVIII

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Am Abend saß Johannes mit den Kindern wie gewohnt im Patio bei der Abendrunde.

„Heuteabend möchte ich mit euch über ein Zitat aus einem für mich sehr wichtigen Buch sprechen.“

Er hielt das vergilbte Buch in seinen Händen.

Am Nachmittag hatte er länger suchen müssen, bis er die Stelle fand, die er gesucht hatte.

„Ich wisst ja, dass ich euch immer wieder zu vermitteln versuche, dass Lesen nicht nur wichtig ist, um in der Schule mitzukommen, im Supermarkt die Preise, oder in der Zeitung die Sportergebnisse zu lesen…“

National hat 2:1 gegen Santa Fe gewonnen“, warf Felipe unvermittelt ein und strahlte dabei über beide Ohren.

Juan verzog leicht das Gesicht. Er fand den Einwurf seines Bruders für unangemessen.

„Lass nur“, setzte Johannes fort. Innerlich musst er Schmunzeln über die Schlagfertigkeit Felipes. Es zeigte zumindest, dass er zugehört hatte, wenngleich er das Gesagte noch nicht verstand. Aber das wird kommen, dachte er.

„Die Kostbarkeit von Büchern besteht ja gerade darin, dass andere Menschen ihre Gedanken festhalten.   Vielleicht wollt ihr irgendwann jemanden einen Liebesbrief schreiben und wisst nicht so recht wie. Dann es euch eine Hilfe sein, in den Worten eines anderen, dem näher zu kommen, was ihr gerade empfindet, bis ihr irgendwann eigene Worte dafür gefunden habt. So ist es mit vielen Dingen, die uns im Leben beschäftigen.“

„Hast du ein Buch über die Liebe?“, wollte Juan wissen.

Die Mädchen schauten sich verständnisvoll an.

„Juan ist verliebt!“, flüsterte Camila so leise, dass es kaum hörbar war.

Johannes wog den Kopf leicht hin und her.

„Das Buch, das ich hier in der Hand halte, handelt davon. Aber es für dein Anliegen, lieber Juan, doch eher unbrauchbar. Ich schreibe dir nachher den Namen eines Autors auf und du kannst dann bei euch in der Schulbibliothek schauen, ob du vielleicht etwas von ihm findest. Sonst kenne ich jemanden, der dir weiterhelfen kann.“

Rosa und Luz sahen einander an und flüsterten sich etwas zu.

Camila reckte den Kopf, um zu verstehen, was sich beide zu sagen hatten. Sie verstand aber nichts und wendete sich wieder den anderen zu.

„Johannes, kannst du mir auch einen Zettel schreiben?“

„Gerne.“

Fernando schüttelte den Kopf.

„Dazu bist du noch viel zu klein.“

„Wozu?“

„Lasst gut sein, Kinder. Ich will euch etwas aus meinem Buch vorlesen. Kann ich?!“

Die Kinder wurden ruhig und gaben damit das Zeichen, dass er beginnen konnte.

 

Zu Lieben erfordert Mut, die Fähigkeit also, ein Risiko auf sich zu nehmen und bereit zu sein, Schmerzen und Enttäuschungen zu ertragen.

Johannes las den Satz nochmals vor, schloss das Buch und legte es bei Seite.

Juan wirkte mit einem Mal sehr nachdenklich und starrte vor sich auf den Boden.

„Was ist?!“, wollte Johannes wissen.

„Es stimmt ich bin verliebt. In wen geht keinen was an. Das Gefühl ist toll, aber ich habe solche Angst, etwas zu zeigen, oder zu sagen. Am Ende will sie nichts von mir wissen.“

„Juan, ja es stimmt. Jemand anderem seine Gefühle zu offenbaren erfordert Mut, ganz viel Mut. Es ist ein großes Risiko. Im Schlimmsten Fall können die eigenen Gefühle abgelehnt werden. Oder sie werden erwidert und es beginnt ein großes Abenteuer für dich.“

„Ich weiß doch gar nicht, was ich will. Es ist alles so neu für mich.“

„Das ist ganz normal. Was einem noch nicht vertraut ist, davor hat man zwangsläufig erst einmal Angst. Man weiß ja nicht was kommen wird. Und selbst, wenn man alles schon einmal durchlebt hat, kann es doch ganz anders sein.“

Johannes griff erneut zu dem vergilbten Buch und blätterte.

Eine gespannte Atmosphäre lag im Patio.

Endlich fand Johannes die Stelle.

Er nahm die Brille ab und begann mit eigenen Worten das Gelesene in Worte zu fassen.

„Wenn ihr einen Menschen liebt und ihm dies zeigen wollt, dann spürt ihr im ersten Moment Angst. Ihr wollt etwas sagen oder tun. Doch etwas hält euch zurück. Ihr wisst nicht, wie es ankommen wird, wollt euch nicht blamieren oder lächerlich machen… Und doch spürt ihr, es geht nicht anders. Ihr müsst allen Mut aufbringen…

Johannes machte eine Pause, so, als wolle er damit dem Gesagten Nachdruck verleihen.

„Wenn es dann raus ist, seid ihr erleichtert. Es ist nicht unwichtig, wie jemand auf unsere Liebe reagiert, ob er sie annehmen kann, oder sich von ihr abwendet. Dennoch sollen wir, wenn wir Liebe zeigen immer davon ausgehen, dass unsere Liebe im Anderen Wirkung zeigen wird und im besten Fall auch Liebe hervorruft.“

Der Gesichtsausdruck von Juan schien sich aufzuhellen.