Der lachende Vogel III,XX

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„Und noch eines.“

Johannes Stimme wurde seltsam brüchig.

„Zu lieben erfordert Mut. Ihr müsst bereit sein, ein Risiko einzugehen, vielleicht sogar Enttäuschungen und Schmerzen auf euch zu nehmen. Wirkliche Liebe ist nicht das, was sie häufig vorgibt zu sein…“

Hier brach seine Stimme vollends.

Die Kinder sahen ihn verwundert an.

Wortlos stand er auf und verließ das Patio.

Als er sein Zimmer betrat machte er kein Licht, legte sich auf sein Bett und starrte in die Dunkelheit. Er schloss die Augen. Müdigkeit übermannte ihn.

Nach einer Weile fiel er in einen tiefen und festen Schlaf.

„Johannes! Was ist mit dir?“

Wie durch ein Dickicht drang Juans Stimme zu ihm durch.

„Macht dir keine Gedanken“, entgegnete Johannes, ohne dabei die Augen zu öffnen.

Im nächsten Augenblick war er wieder eingeschlafen.

Gegen Mitternacht erwachte er erneut.

Er stand auf und trat hinaus in den Patio.

Die Kinder waren längst im Bett.

In der Ferne war das Bellen eines Hundes zu hören.

Die Nacht war mild. Er nahm auf dem Boden Platz.

Immer wieder fielen ihm die Augen zu.

Irgendwann war ihm, als habe sich etwas neben ihm bewegt.

„Kinder, ist einer von euch doch noch wach?“

„Ich bin’s“, erklärte der lachende Vogel mit heiterer Stimme.

„Ach, du! Was hält dich denn noch auf den Beinen.“

„Das könnte ich dich fragen.“

„So spät und noch zu Scherzen aufgelegt.“

„Nicht wirklich.“

„Du wirkst nachdenklich.“

„Ja.“

„Was beschäftigt dich?“

„Kannst du mir sagen, worin die Weisheit besteht, sein Leben zu führen.“

„Vielleicht ist es die Einsicht, dass alle Dinge im Leben, alles, was sich ereignet hat und je ereignen wird, etwas Unvollkommenes anhaftet.“

„Unvollkommenes?“

„Ja… Die Tragik des Unglücklichen besteht doch darin sein Leben und sich selbst für wichtig zu nehmen. Versteh mich nicht falsch. Es nicht ganz und gar unbedeutsam, ob etwas ist, oder nicht ist… auch nicht, was man im Leben erlebt… selbst für einen Flattermann wie mich…“

„Aber?!“

„Dem Einfältigen unter euch Zweibeinern ist etwas gegeben, dessen viele Menschen zeitlebens entbehren, weil sie einem anderen Sein nachjagen.“

Der lachende Vogel machte eine Pause. Musste er überlegen, wie das Gesagte weiterführen konnte, oder war es nur ein geschickte Kunstgriff, Johannes noch mehr, als er ohnehin davon ausgehen konnte, zum Nachdenken zu bringen.

„Sprich weiter!“

„Nun denn… der Einfältige fristet sein Dasein und geht seines Weges als gutmütiger Mensch, ohne Ziel, ohne Bedauern, vor allem ohne Ungeduld. Das Herz wird ihm nur selten wirklich schwer. Die Welt, in der er lebt, ist sein Königreich, und es genügt ihm vollkommen. Jeder Augenblick in seiner Gegenwart ist Teil seiner Ewigkeit. Sie macht ihn glücklich. Für ihn gibt es nichts zu beweisen. Er muss niemandem etwas vormachen. Er kann sein, der er ist. Es ist nicht auf der Suche, weil für ihn alles schon vorhanden ist. Sein Sein ist tugendhaft und weise zugleich.“

„Tugendhaft und weise?!

„Ja, tugendhaft und weise scheint es mir, aus dem Karussell der Angst auszusteigen.“

„Karussell der Angst!? Ich kann dir nicht recht folgen. Ich glaube es ist schon zu spät für solche Gespräche. Aber rede ruhig weiter!“

„Das Karussell der Angst ist darin begründet, im Leben zu kurz zu kommen. Wie sehr habt ihr Menschen heute Angst etwas zu verpassen. Daraus erwächst eine Haltung, die gesteuert wird von maßlosem Ehrgeiz, Neid, Konkurrenzdenken und Besitzenwollen.“

„Und der Einfältige weiß um all das nicht.“

„Ich bin mir nicht sicher. Verwechsle Einfältigkeit nicht mit Dummheit. Der Einfältige kann durchaus über hohe geistige Fähigkeiten verfügen. Bedeutsam ist für ihn, was er daraus macht. Er weiß um diese, achtet sie aber für eher gering.“

„Der Apostel Paulus hat einmal von der Knechtschaft des Geistes gesprochen. Demnach hätte der Einfältige einen kindlichen Geist, wie Paulus es ausgedrückt hat. Seltsam, wie vertraute Sätze plötzlich einen ganz anderen Klang bekommen.“

„Du sagst es… doch nicht so müde?!“

„Doch, doch… lass uns ein anderes Mal unser Gespräch fortsetzen.

Als Johannes sich zu Bett legte, sein Abendgebet schon gesprochen hatte, lag er eine Weile noch wach da.

Ein weiterer Satz des Paulus schoss im durch den Kopf und er rezitierte in leise vor sich hin:

„Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, so dass ich Berge versetzen könnte, und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts.“

In diesem Sinne, dachte er, bin ich gerne einfältig.