Als Claire wieder erwachte und auf die Uhr schaute, war es kurz vor Mitternacht. Kaum richtig wach stand sie nur kurz auf, ließ die Kleidung von ihrem Körper fallen und huschte schnell wieder unter ihre Decke. Sie musste noch einmal an die heutige Eintragung in ihr Tagebuch denken.
Sie schlief sehr unruhig. Träumte.
Um sie herum viele bunte Lichter. Lärm. Musik. Verschiedenste Düfte. Die für Jahrmärkte so typische bunte Mischung an Sinneseindrücken. Claire brauchte eine Zeit, um sich im Traum zu orientieren. Sie war nicht alleine. An der linken Hand wurde sie von einer haarigen Pranke ohne erkennbares Gesicht gehalten. In der Rechten hielt sie einen Gasluftballon. Der Ballon hatte etwas von einer übergroßen Gestalt, etwas Menschen Ähnliches. Sonderbar, bei genauerem Hinsehen erkannte sich zweifelsfrei ihre karierte Hose. Es durchzuckte sie. Als sie sich zur behaarten Pranke wandte, war für einen kurzen Moment das Gesicht zu erkennen. Es war zweifelsfrei das Gesicht ihres Vaters. Sie versuchte zu schreien. Kein Wort verließ ihre Kehle. Sie wollte sich losreißen. Die haarige Pranke, nun wieder ohne Gesicht, hielt sie fest. Für einen Augenblick konnte sich befreien. Ein Gefühl der Befreiung und Erleichterung. Kurze Zeit später merkte sie, wie sie vom Boden abhob. Mit jedem Zentimeter, den sie sich vom Boden entfernte, spürte sie, dass etwas ganz Merkwürdiges passierte. Sie wurde nach und nach eins mit dem Gasluftballon. Als sie schließlich in ihn hineingewachsen war, sah sie mit panischer Angst Hilfe suchend unter sich. Die haarige Pranke war immer noch da. Sie sah ihr nach. Sie erschauerte als sie das hämische Grinsen ihres Vaters erblicke. Voller Entsetzen wandte sich ab. Dann ging alles sehr schnell. Sie stieg und stieg. Schon war der Jahrmarkt unter ihr kaum noch erkennbar. Ein ungeheurer Schub ließ sie wie eine Rakete in den Himmel fahren, wie einen Luftballon, den man nach dem Aufpusten einfach loslässt. So war es auch. Es dauerte nicht lange und ihr rasanter Aufstieg endet in einem scharfen Bogen. Es folgte ein steiler Sturzflug. Der Jahrmarkt kam mit ungeheurer Schnelligkeit wieder näher und näher. Die haarige Pranke war schon wieder deutlich erkennbar. Und diese abscheuliche Fratze. Nur noch wenige Sekunden und…
Im letzten Augenblick erwachte Claire aus ihrem Alptraum. Zitternd und heftig atmend, versuchte sie sich zu orientieren. Wo war sie? Was war mit ihr geschehen?
Sie griff Gedanken verloren zum Lichtschalter ihrer Nachtischlampe und knipste sie an. Nun erkannte sie die vertraute Umgebung ihres Zimmers. Sie atmete auf. Je deutlicher sie sich in ihrem Zimmer wieder fand, Einstein wie gewohnt die Zunge herausstreckend sie angrinste, um so undeutlicher wurde das, was sie gerade noch in Angst und Schrecken versetzt hatte. Es blieb für einige Minuten nur noch das Gefühl panischer Angst. Ihr Magen gluckste heftig.
Sie stand auf. Gleichsam, als wolle sie sich selbst zeigen, dass sie noch Herrin ihres Lebens war. Sie stampfte mit dem rechten Fuß zaghaft dreimal auf. Kaum hörbar. Ihr Stampfen wurde vom dicken Bettvorleger verschluckt.
Erst dann wagte sie ein Bein vor das andere setzend Einstein entgegenzugehen. Sie ließ ihn hinter sich und stieg die Holztreppe hinab ins Erdgeschoss.
Im Wohnzimmer brannte immer noch Licht. Bruno war anscheinend immer noch auf Schmolltour. Aber noch nicht rekordverdächtig. Der Fernseher flimmerte hinter der geriffelten Glasscheibe.
In der Küche angekommen ging Claire zielstrebig auf den Kühlschrank zu. Es fröstelte sie etwas, als sie die Kühlschranktür öffnete. Sie war nackt. Sie hatte nicht weiter darüber nachgedacht, dass sie jemandem mitten in der Nacht noch begegnen könnte. War ihr ehrlich gesagt auch egal. Sollte jemand sie doch sehen. Ihr Blick entdeckte zwei Joghurts, ein Reststück Gouda und ein kleines Glas mit Cornichons.
Wieder im Zimmer legte sie ihr Nachtmahl auf dem Nachtisch ab, wickelte sich die Decke um ihren Leib und setzte sich auf die Bettkante.
Voll Heißhunger biss sie zunächst in den Gouda und dann in ein Cornichon. Als sie sich über die Joghurts hermachen wollte, fehlte ihr ein Löffel. Sie öffnete sie dennoch und begann abwechselnd aus dem einen dann aus dem anderen die süße Speise genüsslich herauszufingern.
Schließlich leckte sie ihre Finger ab und ließ sich wieder zufrieden ihr Bett fallen. Es dauerte nicht lange und sie war in einen ruhigen und sanften Schlaf gefallen.