Er kam erst im Ambulanzwagen für Augenblicke wieder zu sich. Zu sich, was war dies, wenn alles um ihn herum nur durch einen dichten Schleier wahrnehmbar war. Die volle Tragweite dessen, was sich ereignet hatte, dies wurde ihm erst Tage später, vermittelt durch die behandelnden Ärzte des St. Franziskus-Hospitals deutlich.
Als er Stunden später auf dem Krankenzimmer die Augen wieder öffnete und in das griesgrämige Gesicht einer Krankenschwester mittleren Alters blickte, waren seinen ersten Worte:
„Wo sind Ben und Fred?“
„Die beiden kenne ich nicht, mein Herr,“ entgegnete die Schwester barsch.
„Da, wo sie her kommen, gibt es zumindest keinen Ben oder Fred“, fuhr sie fort, ohne jedoch ihren für ihn völlig unverständlichen Worten noch ein weiteres hinzugefügt zu haben. Wortlos verlies sie, nachdem sie auf das EKG geschaut hatte, wieder das Zimmer.
Er war noch nicht in der Lage allen Einzelheiten, die sich um ihn ereigneten, zu folgen. Am Klacken der Tür nahm er wahr, dass er wieder allein war. Wo befand er sich? Was war mit ihm? Warum fühlte es sich so benommen? Was war geschehen?
Das letzte, an das er sich erinnern konnte war… Gedankenfetzen… Undeutlich kam die Erinnerung an die kleine Feier seines Geburtstages mit Fred und Ben in sein Bewusstsein zurück… Seine Tochter Claire, hatte sie nicht auch den Tag mit ihnen verbracht? Knallende Korken… Lachen… Freds und Bens zweideutiger Blick… Cut.
Offensichtlich war keiner mehr im Raum, den er hätte fragen können. Vor Müdigkeit schloss er die Augen und war Sekunden später schon wieder eingeschlafen.
Eine kühle Hand, die sein überhitztes Gesicht streichelte, holte ihn nach für ihn unbestimmter Zeit in die Wirklichkeit zurück . Als er die Augen öffnete, erkannte er zweifelsfrei Ben. Ein besorgtes Lächeln huschte über sein Gesicht. Im Hintergrund war die Silhouette von Fred zu erkennen.
„Alter, was macht’s du für Sachen?“, waren ihre ersten Worte, fast wie im Chor.
„Man, du hast uns vielleicht einen Schrecken eingejagt.“
Ben schüttelte ungläubig den Kopf.
Er sah ihn verständnislos an.
Offensichtlich wussten alle, was sich ereignet hatte, nur er nicht.
„Hätte einer von euch beiden die Güte, mir zu sagen, was hier eigentlich gespielt wird. Wo bin ich hier? Das heißt, wer hat mich den hier in diesen sagenhaften Schuppen eingeliefert?“
Ben und Fred sahen sich bedeutungsschwanger an.
Sein gesundheitliche Zustand ließ sie etwas zögern. War es angebracht ihm schon jetzt die Wahrheit, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit aufzutischen. Sie sahen sich erneut an und mussten dann aber losprusten.
„Hey, was soll das? Macht ihr euch etwa über mich lustig? Los raus mit der Sprache, was ist los? Was wisst ihr?“
„Also,“ begann Ben mit Bedacht, „das, was wir wissen, ist, dass du dich an deinem Geburtstag zu vorgerückter Stunde noch auf den Weg gemacht hast.“
„Du warst ganz schön breit,“ fuhr Fred fort.
„Und als wir wieder etwas von dir hörten, war es längst Nacht. Das Telefon klingelte und wir dachten, irgend jemand wolle dir noch zu deinem Geburtstag gratulieren. Stattdessen war es das St. Franziskus-Hospital. Man habe dich gerade mit der Ambulanz eingeliefert. Dein Zustand sei wieder erwartend zwar ernst, aber nicht mehr lebensbedrohlich. Du hättest einen Herzinfarkt gehabt. Aber Dank des schnell eintreffenden Notarztes seiest du rechtzeitig in nächste Krankenhaus gebracht worden.“
„Herzinfarkt?“ Seine fragenden und entsetzten Augen sahen sie an.
„Ja, Herzinfarkt“, antwortete Fred.
„Warum denn das? Ihr macht Scherze, Jungs. Ich habe noch nie davon gehört, dass jemand vom erhöhten Alkoholkonsum einen Infarkt bekommen hätte.“
„Ehrlich gesagt, wir auch nicht.“
Ben konnte sich ein süffisantes Grinsen nicht verkneifen.
„Also, los, raus mit der Sprache. Langsam finde ich das nicht mehr lustig. Schließlich bin ich es, der dem Tod gerade noch einmal von der Schüppe gesprungen ist. Oder?“
„Okay“, erklärte Ben, „dann wollen wir mal. Aber halt dich fest, mein Lieber. Die Wahrheit ist alles andere als…“
Ben musste beim Gedanken daran wieder losprusten.
„Stopp, Ben. Hinterher meint er noch, wir würden uns lustig über ihn machen. Was natürlich überhaupt nicht der Fall ist.“
Fred warf Ben einen viel sagenden Blick zu und legte seinen Arm um ihn. So, als wolle er für das, was zu sagen war, der geballten Manneskraft seines Partners vergewissern.
„Also, mein Lieber. Offensichtlich hat es dich nach einem bereits so gelungen Geburtstag zu weit Höheren Freuden gelockt.“
„Nun macht es nicht so spannend.“
„Kannst du dich noch erinnern, wohin du mit dem Fahrrad, schwankend aber dennoch zielstrebig auf den Weg gemacht hast.“
„Nein.“
„Dann wollen wir dir mal auf die Sprünge helfen,“ hob Fred an.
„Du musst ganz schön spitz gewesen sein,“ unterbrach ihn Ben.
„Auf jeden Fall hast du in deinem Zustand mit dem Rad die enorme Distanz von 18 Kilometern in die nächste Stadt auf dich genommen.“
„Was verständlich ist. Sicherlich wolltest du die Anonymität bewahren.“
„Anonymität? Ich verstehe nicht, wovon du sprichst, Ben.“
„Na, wer geht schon an seinem Wohnort ins nahe gelegene Freudenhaus wie in den nächsten Supermarkt.“
„Freudenhaus?“
„Jawohl, mein Lieber“, bestätigte Ben.