Spiegelungen VII

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Mühsam versuchten Fred und Ben ihm bei der Rekonstruktion des vergangenen Abends behilflich zu sein.

Offenbar war er auf dem Fahrrad zunächst zielstrebig losgeradelt. Angeheitert und einem inneren Impuls folgend hatte er dann aber seinen gewohnte Rundweg verlassen. Je weiter er sein gewohntes Terrain hinter sich ließ, um so mehr erfasste ihn eine inneren Unruhe. Ehe er dessen so recht gewahr wurde, war er auf den Weg in die Nachbarstadt eingebogen. Es war lange her. Zu Ehezeiten, auf ausdehnten Radtouren in der näheren Umgebung hatten sie diesen Weg so manches Mal genommen.

Hier brach seiner Erinnerung ab. Noch Wochen später wollte er dem nicht so recht trauen, was sich dann den Aussagen von Fred und Ben zugetragen haben sollte.

Da sie beide jedoch auch nur Ohrenzeugen waren, unterbrach er ihre Schilderung mehrmals energisch und erklärte relativierend:

„Also, meinen Lieben. Da habt ihr aber ganz schön dazu gedichtet.“

„Nein, nein,“ erklärten beiden jeweils.

Unfassbar blieb, dass er sich irgendwann im nahe gelegenen Freudenhaus wieder fand. Ungeübt in solchen Angelegenheiten, schließlich handelte es sich um das erste Mal, dass er ein solche Etablissement von Innen betrat, hatte er nur eines im Sinn, schnell in der vermeintlichen Anonymität eines Zimmers zu verschwinden. Es musste ihm trotz seiner Hochstimmung dennoch leicht peinlich gewesen sein. Ob seines vorangeschrittenen Alters, oder seiner Unerfahrenheit wegen, dies lies sich nicht eindeutig sagen. Gleichwohl musste er dann, bevor er sich dem Liebesspiel ganz hingeben und damit seinem Geburtstag einen krönenden Abschluss geben wollte, quasi um seiner innerlich angespannten Stimmung und die aufwallende Erregung in ihm noch zu untermauern für einen kurzen Augenblick im Bad verschwunden sein, um sich dort eine Stimulans zuzuführen, von der er sicher sein konnte, dass sie ihm bei dem bevorstehende Akt tatkräftig unterstützen und nicht im Stich lassen würde. Diese kleinen blauen Wunderpillen stammten noch aus der letzten Zeit seiner Ehe, in der er durch alle möglichen Anstrengungen – auch auf sexuellem Gebiet – versucht hatte, das sinkenden Schiff vor dem drohenden Untergang zu bewahren. So recht konnte er den, ob des Umstandes etwas verdutzt dreinschauenden beiden Freunden, nun auch nicht mehr sagen, warum er diese kleinen Pillen über die Jahre in einem Seitenfach seines Portemonnaies aufbewahrt hatte.

Die Wirkung dieser Pillen, von denen er sicherheitshalber gleich zwei zu sich nahm, musste im wahrsten Sinne umwerfend gewesen sein. Es dauerte nicht lange und er lang reglos mit einem zum bersten geschwollenem Glied auf dem Bett. Die junge Frau die begonnen hatte, diesem älteren höflichen Herren zur Hand zu gehen, stieß eine solchen Entsetzensschrei aus, dass dieser noch auf der Straße zu hören war.

Wenige Minuten später war das Zimmer voller hektischer Menschen, die wenig mehr an hatten als ein Hauch von Stoff oder Seide.

Als der Notarzt eintraf, saß die junge Frau schluchzend und völlig fertig auf einem Sessel neben dem Bett. Wie später zu erfahren war, war es ihr erster Kunde überhaupt. Ganz neu im Gewerbe und dann gleich so etwas. Sie war untröstlich und machte sich Gedanken, ob sie das Unheil nicht hätte abwänden können. Die älteren Damen pflichteten ihr bei und erklärten ihr, dass dies nicht so oft, aber doch immer wieder vorkäme, leider. Aber kaum abzuwenden sei, es sei denn, man spräche die Kunden taktvoll darauf an, was jedoch nicht immer so leicht sei.

In Folge der Überdosierung des potenzsteigernden Mittels hatte er einen Infarkt erlitten. Auf dem Weg ins Krankenhaus war er jedoch schon wieder außer Lebensgefahr.