Vor der Tienda saßen an zwei Bistrotischen jeweils eine handvoll Männer. Die aufgereihten Bierflaschen ließen darauf schließen, dass sie allesamt schon eine ganze Weile dort saßen und den Zustand der Nüchternheit längst hinter sich gelassen hatten.
Claire und Günter nahmen an einem leeren Tisch Platz und bestellen jeweils ein weiteres Bier. Rosa, die Besitzerin der Tienda, kam kurze Zeit später mit zwei Flaschen Club zurück. Claire nahm einen kleinen Schluck, während Günter die Flasche mit dem ersten Schluck fast schon leerte. Claire hingegen wollte es langsam angehen lassen. Es war früh am Nachmittag und während der nächsten Stunden würde sicher noch die eine oder andere Flasche folgen.
Als ihr einer der Mitspieler die nicht allzu große und doch recht schwere, gut einen Kilo wiegende zylindrische Metallscheibe, Tejo genannt, in die Hand drückte, gab ihre Hand unter dem Gewicht nach. Sie hatte das Gewicht unterschätzt. Die Scheibe fiel in den Sandboden. Die umstehenden Männer brachen in Lachen aus. Einer der Männer, Juan, er sollte einer ihre Mitspieler sein und in den folgenden Stunden gleichzeitig zu so etwas wie ihrem persönlichen Trainer werden, hob die Scheibe wieder auf und reichte sie ihr, damit sie ihren Probewurf wiederholen konnte.
Claire holte aus und warf den Tejo. Nach einem eirigen und kurzen Flug landete dieser auf halber Strecke erneut im Sandboden. Bevor die Männer den misslungenen Wurf mit gewohnt abschätzigen Kommentaren, oder gar mit schallendem Gelächter quittieren konnten, machte Juan vorausschauend eine eindeutige Handbewegung, eilte zum Tejo, hob ihn auf und brachte ihn Claire.
Es dauerte eine Weile, bis der Tejo in Zielnähe des schräg aufgestellten Lehmkastens landete. Dass ihr Team die einzelnen Spielrunden dennoch meist souverän gewann, lag allein an der Spielkunst Juans. Er war ein wahrer Meister des Spiels. Er wurde, so wusste Olga später zu berichten, nicht selten von anderen Mannschaften gegen ein gutes Taschengeld angeheuert.
Beim Spiel ging es vor allem darum, das eigentliche Ziel, den Bocín, einen circa zwölf Zentimeter großen Metallring zu treffen, der gewöhnlich im Zentrum des Lehmkastens vergraben war. Drumherum waren vier mit Schwarzpulver gefüllte Papiertaschen positioniert, die sogenannten Mechas, die, traf man sie, eine kräftige Explosion auslösten, warum es auch allgemein verboten war, dass Spiel zu vorgerückter Abendstunde fortzusetzen.
Ein einziges Mal gelang es Claire eine Mecha zu treffen. Als die Explosion ausgelöst wurde, machte Claire einen Freudenspruch und ballte dabei die Faust zum Siegeszeichen, drehte sich strahlend zu ihren Teamkollegen um und ließ sich nach und nach von allen abklatschen. Ihren Wangen glühten, vor Aufregung oder in Folge der Hitze des tropischen Nachmittages, ließ sich nicht sagen.
Günter freute sich mit ihr, wenngleich auch er seine Schwierigkeiten beim Werfen hatte, nicht ein einziges Mal die Mecha traf und außerdem der stets sieglosen Mannschaft angehörte. Er nahm die Niederlagen mit Fassung und war einfach nur begeistert über soviel miteinander geteilte Freude am Spiel.
Leicht angetrunken kehrten Claire und Günter sich gegenseitig stützend am späten Abend nach Hause zurück.
Olga saß auf der Veranda und lachte sie an.
„Tienen hambre?“
Claire und Günter ließen sich nicht zwei Mal fragen und nickten zustimmend. Außer einer Reihe von Bieren, hatten sie in den letzten Stunden nichts zu sich genommen. Etwas feste Nahrung würde ihnen, trotz der vorgerückten Stunde gut tun.
Eine Weile später servierte Olga ihnen frische Patacones mit Ají, einer traditionellen und pikanten, selbstgemachten Soße.
„Quieren mas?“, fragte Olga, als die Teller leergeputzt waren.
„No, gracias!“, antworten beide wie aus einem Munde.