Claire las den Zettel wieder und wieder, versuchte zu verstehen, was Günter ihr damit hatte sagen wollen. Sie konnte nicht sagen, dass der Liebesakt, oder sollte sie sagen, diese körperliche Annäherung, sie sonderlich vertraut miteinander gemacht hatten. Und dennoch war sie irgendwie ganz tief in sich berührt von diesem Vorfall.
Es ist anders als sonst mit den flüchtigen Nachtbekanntschaften. Einen Augenblick wünschte sie sich, Günter würde noch neben ihr liegen und sie könnte ihren Kopf auf seine stark behaarte Brust vergraben. Sie begann nach Spuren seiner Gegenwart, die längst Vergangenheit geworden war, zu suchen.
Ihre Hände begannen an ihr abwärts zu wandern. Ihre Schamhaare waren an einigen Stellen verklebt. Sie ließ einen Finger in ihre Scheide gleiten. Sie war immer noch feucht. Leichte Bewegungen ließen erneut etwas von der nächtlichen Lust in ihr aufsteigen. Sonderbar, dachte sie, dass ein doch eher als reifer Herr zu bezeichnender Fremde sie offensichtlich in das Reich ihre Sinne zurückgeführt hatte. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal mit solcher Neugier und Freude ihren Körper erkundet hatte.
Sie führte ihre Hand zurück an ihren Mund, konnte die Mischung der körperlichen Vereinigung riechen, steckte einen Finger nach dem anderen in den Mund, sog daran und begann sie abzulecken, so, wie sie früher beim Backen als Kind, wenn sie einen Knetstab nach dem anderen so lange abgeleckte, bis ihre Mutter sie lächelnd ansah und meinte: „Du wirst noch das Metall weglutschen.“
Seicht und sacht begann sie ihre Klitoris zu streicheln. Sie vollführte kreisende Bewegungen, verstärkte immer wieder den Druck, tauchte tief in sich hinein und wurde immer mehr eins mit sich selbst. Eine Woge nach der anderen erfasste sie. Am Ende ließ sie ihre Arme erschöpft hinter sich fallen, schloss die Augen und fiel sogleich in einen tiefen und wohligen Schlaf.
Olgas Klopfen weckte sie.
„Todo, esta bien?“
„Si, si, Olga!“
Es war bereits nach Mittag, als Claire endlich unter der Dusche stand. Der lauwarme Strahl erfrischte sie.
Neben der Dusche hing ein kleiner Plastikspiegel. In ihm konnte sie gerade so ihr Gesicht erkennen. Was sie sah, erstaunte sie. Leuchtende Augen sahen sie an. Sie schüttelte leicht den Kopf, weil sie nicht glauben konnte, was sie sah.
Claire drehte sich um und sah in die Sonne. Mit geschlossenen Augen stand sie da, das Handtuch um sich geschlungen. Einzelne Tropfen des noch nassen Haares liefen ihr über ihr Gesicht. Sie spürte in sich hinein. Sie erfüllte eine innere Ausgeglichenheit und Ruhe.
Sie ließ das Handtuch abwärts gleiten und begann sich langsam im Kreis zu drehen. Dabei hob sie die Arme und bewegte sie wie die Schwingen eines Vogels. Als ihr leicht schwindelig wurde, setze sie sich auf den Boden und lehnte sich an die Mauer.
Vor ihr stiegen Bilder aus längst vergangen Tagen auf. Sie sah sich auf einem jener Standkarusselle stehen, die aus nichts mehr als aus einem Drehkreuz bestanden. Hinter sich spürte sie den leichten Druck zweier Hände, die sie in den Hüften fest hielten. Große, kräftige Hände. Als sie sich umsah, konnte sie das strahlende Gesicht ihres Vaters sehen.
„Halt dich gut fest, meine Liebe! Jetzt geht es los“, hörte sie ihn sagen.
Am Anfang verkrampften sich ihre Hände noch. Runde um Runde fasste sie mehr und mehr Vertrauen, bis sie in einer der endlosen Runden zum Erstaunen ihres Vaters eine Hand löste und sogar ein Bein von der Plattform hob. Vor lauter Entzücken begann sie zu juchzen. Ihr Vater konnte irgendwann nicht mehr so schnell mitlaufen, ließ ebenfalls los und stieß einen Freudenschrei aus.
Als Claire wieder Boden unter den Füßen hatte befand sie sich in eine Art Trance. Ihr war zudem derart schwindelig, dass sie ihrem Vater wankend in die Arme entgegen fiel. Der hatte nichts Besseres zu tun, als die Fahrt nochmals aufzunehmen und sich im Stand um die eigene Achse zu drehen, bis sie völlig überdreht nur noch „Aufhören!“ schreien konnte.
Plötzlich nahm Claire wahr, wie sie jemand im Arm hielt. Die kleine Olga saß neben ihr auf dem Boden, hielt sie fest umschlungen, streichelte ihr Gesicht und summte ein Lied. Erst jetzt merkte sie, wie ihr Tränen die Wangen herunter liefen und sich ihr gesamter Körper unter einem heftigen Schluchzen auf und nieder bewegte.
Claire ergriff eine von Olgas zarten und zierlichen Händen und küsste ihre Innenfläche. Dann führte sie sie über ihr Gesicht, um sie sogleich nochmals zu küssen.
„Mi hijita!“, hörte sie wieder und wieder in einem beruhigenden und liebevollen Ton sagen.
Diese Worte waren wie Balsam auf ihre Seele.