Spiegelungen III,XI

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Gedenke, dass mein Leben ein Wind ist.
Kein lebendiges Auge wir mich mehr sehen.
Sehen deine Augen nach mir,
so bin ich nicht mehr.
Ijob

Claire und Juan-Felipe folgten der Musik mit anfänglich verhaltenen und zögerlichen Schritten. Die Bewegungen ihrer beider Körper brauchten eine Zeit des Zueinanderfindens, dann aber tauchten sie ab in eine andere Welt, nahmen kaum war, was um sie noch geschah.
Kreisend glich ihr Tanz eine Choreographie ihrer beider Leben. Wer ihnen zusah, hätte nicht sagen können, ob sie zur Musik tanzten, oder angeregt durch Melodie und Rhythmus etwas Eigenes kreierten.
Auf beiden Gesichtern lag ein Strahlen. Ihre Wangen glühten, als pulsiere in ihnen ein Feuer. Sämtliche Poren ihrer Körper begannen sich zu öffnen.
Zwischendurch hielten sie inne, sahen einander an., um sogleich ihren Tanz wieder fortzusetzen.
Wie zwei umeinander werbende Vögel folgte einer dem anderen. Jedes Gefühl für das, was sie sonst am Boden hielt, verlor sich. Sie schwebten dahin.

Von Ferne sah ihnen Olga zu. Vor Neugier hatte sie es zu Hause nicht mehr ausgehalten, wollte wissen und teilhaben an dem, was geschah.
»Espectacular!«, sagte sie ein um das andere Mal vor sich hin. Sie war gleichzeitig ergriffen von einer unaussprechlichen Freude und einer tiefen Traurigkeit.
Sie sah sich selbst mit ihrem Juanito, vor Jahren an eben gleicher Stelle tanzend. Ihre Augen wurden feucht. Ergriffen begann sie zu schluchzen, konnte sich irgendwann nicht mehr halten.
Ein älterer Herr trat auf sie zu. Mit einer freundlichen Geste gab sie ihm zu verstehen, dass sie alleine für sich bleiben wollte. Der ältere Herr hob seinen Hut kurz zum Gruß, verbeugte sich leicht und wandte sich wieder ab.

Von all dem nahmen Claire und Juan-Felipe nichts wahr. Auch später noch, als die Musik längst nicht mehr zu hören war, setzten sie ihren Tanz fort.
Fast als letzte verließen sie, es musste schon weit nach Mitternacht sein, die Plaza. Einige Jugendliche saßen noch am Brunnen und unterhielten sich. Auch sie nahmen keine Notiz von diesen beiden Wesen, die über Stunden unablässig getanzt hatten.
Fest umschlungen machten sich beide irgendwann schwankend auf den Weg. Die frische Brise der angebrochenen Nacht vermochte kaum, ihren erhitzten Körpern Kühlung zu verschaffen. Claire strich Juan-Felipe mit ihrer Hand durch sein nasses Haar.
Als das Gefühl für ihren eigenen Körper langsam zurückkam, spürte Claire Müdigkeit und Erschöpfung. Gleichzeitig war sie erfüllt von einer Wachheit und Klarheit für alles um sie herum.
Ein Duft erfasste ihre Sinne. Sie blieb sogleich stehen und atmete tief ein.
»Caballero de la noche«, erklärte Juan-Felipe.
Was für ein Name für diesen kletternden Strauch mit seine schlanken Ästen dachte sie.

Sacht strich Juan-Felipe über Claires Rücken. Beide lagen nackt auf seinem Nachtlager. Im Licht der Straßenlaterne, die matt durch das Fenster einfiel, glichen ihre Körper zwei dahingeworfenen Schatten.
Für Claire war es, als tanzten seine Hände auf ihrem Rücken, bedächtig und zart. Mit geschlossenen Augen erfasste sie jede Berührung, den leichten Druck auf ihrer Haut. Sie überkam eine tiefe Sehnsucht, ein Verlangen.
Sie drehte sich um, sah ihn an. Ein Moment ergriff sie ein Anflug von Scham. Sie schüttelte leicht den Kopf. Juan-Felipe nahm es wahr und richtete sich seinerseits etwas auf.
»Que pasó?«
»Nada, mi…«
Weiter kam sie nicht.

Ihr Liebesspiel glich einem Tanz auf dem Vulkan. Lavaströme einer tiefen Leidenschaft ergossen sich über sie.