Für Augenblicke wurde ihr schwarz vor Augen. Sie schwankte zurück an den Küchentisch, setze sich. Starr vor sich hinblickend konnte sie keinen klaren Gedanken fassen. In ihr brach ein Meer über sie schwappender Gefühle auf.
Ein langer Aufschrei, der aus dem tiefsten Innern zu kommen schien, ließ sie zurück ins Jetzt kehren. Sie schnappte nach Luft.
Sie las die beiden Sätze immer und immer wieder. Sie ergaben keinen Sinn. Hannes weg. Wohin? Warum?
In ihrer Not und Ratlosigkeit griff sie zum Telefon. Der Verleger war nicht zu erreichen. Die Sekretärin wusste zu berichten, dass Hannes am Morgen angerufen und den Termin ohne Angabe eines Grundes abgesagt hatte.
Minuten vergingen. Minuten, in denen sie erneut auf den kleinen Zettel stierte, die beiden Sätzen wie ein Mantra vor sich hinmurmelte. Sie blieb schließlich bei einem Wort hängen: Weg, weg, weg …
Wieder versank sie in einem Ozean aus Gefühlen. Japsend röchelte sie etwas hervor, das wie ein „Nein“ klang.
Draußen wurde es bereits dämmrig, als sie immer noch wie angewurzelt auf dem Stuhl saß. In der einen Hand der Zettel in der anderen das tragbare Telefon.
Benommen drückten ihre Finger erneut Zahlen. Mechanisch führte sie das Telefon zum Ohr. Am anderen Ende der Leitung war ein »Hallo.« zu hören. Erst ein erneutes »Hallo!?« ließ sie aufhorchen.
»Ja, ich bin’s.«
»Maren?«
»Ja.«
»Was ist los? Du hörst dich so komisch an?«
»Hannes ist weg.«
»Weg?
»Ja, fort. Er hat einen Zettel zurückgelassen.«
Sie begann, die Ereignisse der letzten Minuten zusammenzufassen. Wie sie nichtsahnend den Zettel auf der Anrichte gefunden habe; berichtete von ihrem ersten Schock, von ihrem Telefonat beim Verleger und von ihrer unermesslichen Ohnmacht.
»Das hat sicher nichts zu bedeuten. Nun beruhige dich erst einmal. Es ist noch früh. Hannes wird heute Nacht schon wie gewohnt neben dir im Bett liegen und dich mit seinem Schnarchen nerven.«
»Meinst du?!«
»Ganz sicher. Hannes ist zu sehr Gewohnheitsmensch, um sich so einfach ohne Vorankündigung davon zu machen.«
»Du hast Recht, das passt nicht zu ihm.«
Sie legte auf und ging ins Bad. Sie stand lange unter der Dusche. Der heiße Strahl verbrühte fast ihre Haut, hatte dennoch etwas Belebendes. Sie erinnerte sich an die langen Duschexzesse der Kindheit. Das Hämmern des Vaters an der verschlossenen Tür. Ihr Duschen am Rande der Brandblasen. Feuerrot wie ein frisch gekochter Krebs stieg sie aus der Dusche, meist erst, wenn der Warmwassertank im Keller leer war.
Sie nahm die Handbrause aus der Halterung und setzte sich auf den Duschboden. So saß sie da und vergaß alles um sich. Zeit und Gedanken wurden weggespült. Verschwanden im Abfluss.
Erleichtert stieg sie aus der Dusche. Trocknete sich ab, cremte sich mit ihrer Lieblingslotion ein und legte etwas von dem Duft auf, das Hannes so sehr mochte. Nackt, voller Erwartung und Sehnsucht nach Hannes legte sie sich aufs Bett.
Als sie aus ihrem traumlosen Schlaf erwachte, war es immer noch Dunkel. Die Nachttischlampe brannte noch. Sie sah auf den Wecker. Es war mitten in der Nacht. Hannes war immer noch nicht da.
Sie legte den Morgenmantel über und ging in die Küche. Ein Glas Leitungswasser löschte ihren Durst. Sie las nochmals die kurze Nachricht von Hannes wie durch eine Wand aus Nebel. Diese Zeilen kamen aus einer anderen Welt. Sie konnte sich einfach keinen Reim darauf machen. Fast schon gleichgültig lies sie den Zettel wieder auf den Küchentisch gleiten und ging zurück ins Bett.
Wie konnte Hannes nur so grausam sein? Sie ließ die zurückliegenden Tage Revue passieren, suchte nach Indizien, die Hannes Verhalten erklären konnten, fand aber keine.
»Duuuu Schuuuft«, schrie sie.
Sie schrie mit einer solchen Inbrunst und Lautstärke, dass ihr der Hals brannte. Dabei wedelte sie wild mit ihren Armen auf und ab.
Sie stand nochmals auf, ging ins Bad, beugte sich unter den laufenden Wasserhahn und nahm einen Schluck Wasser.
Sie hob den Kopf, sah in den Spiegel und erschrak. Ihr kam ein gespenstischer Gesichtsausdruck entgegen.