Hors Saison I,VI

Hors Saison Titelbild

Am nächsten Morgen wurde sie von der Haustürklingel geweckt. Irgendjemand musste schon seit längerem vor der Tür stehen. Das Klingeln wurde aufdringlicher. Der anhaltende Ton störte sie.
Widerwillig stand sie auf. Ohne Eile. Das Klingeln hörte auf. Sie ließ noch etwas Zeit, bis sie zur Tür ging. Insgeheim hoffte sie, niemanden mehr vorzufinden.
Als sie die Tür öffnete, stand Maren vor ihr. Sie hielt die Tageszeitungen in der Hand.
»Sag mal, was ist den los mit dir? Wie schaust du denn aus?«
Sie sah fragend an sich herab. Während sie nach einer passenden Antwort suchte, trat Maren an ihr vorbei ein. Unschlüssig blieb sie für einen Augenblick noch im Türrahmen stehen. Am liebsten wäre sie hinausgetreten, hätte die Haustür geschlossen und eine verdutzt dreinschauende Maren hinter sich gelassen.
Stattdessen schloss sie die Tür, ging an Maren wortlos vorbei in die Küche. Sie nahm den Wasserkessel, füllte ihn und stellte in auf den Gasherd.
»Also, könntest du mir mal sagen, was los ist?«
»Nichts.«
»Du hast mich auch schon freundlicher empfangen.«
»Sollte ich?«
Schweigen. Vielleicht erinnerte sich Maren an ihr letztes Telefonat. Sie hatte das Gefühl, es stand noch zwischen ihnen.
»Ich habe gestern Abend versucht, dich zu erreichen. Wahrscheinlich warst du nicht da?«
Maren sah sie fragend an. Sie hatte keine Lust zu antworten. Maren versuchte ruhig zu bleiben.
»Du, ich will dich ja nicht bedrängen. Aber seit vorgestern muss ich dauernd daran denken, dass Hannes fort ist. Er ist doch nicht zurückgekehrt?«
»Nein.«
»Was bist du so einsilbig? Ich mach mir wirklich Sorgen um dich. Mehr als um Hannes.«
»Das brauchst du nicht.«
Maren wurde langsam ungehalten.
»Wenn ich dich störe, dann sag es mir direkt. Aber tue nicht so als ob …«
»Als ob?«
»Ich dachte, wir wären gute Freundinnen. Und als solche hätten wir keine Geheimnisse. Also raus mit der Sprache, was bedrückt dich?«
»Hör auf mit der Psychomasche, ich bin nicht zu dir in deine Beratung gekommen.«
»Ich will dich doch gar nicht beraten. Ich …«
»Dann lass mich doch einfach in Ruhe. Ich komme gut ohne dich und Hannes klar.«
Maren versuchte, ihre Worte zu verstehen. Zugegeben, Hannes war in letzter Zeit häufiger bei ihr gewesen. Sie hatten über den neuen Roman gesprochen. Er hatte darüber geklagt, dass seine Frau kein Interesse mehr für seine Romanentwürfe zeigte. Ja, Hannes hatte für sie immer noch etwas sehr Anziehendes.
»Du willst doch nicht etwa andeuten, Hannes und ich hätten etwas miteinander.«
»Jetzt reicht’s. Lass mich endlich in Ruhe mit deinem Gequatsche. Mich interessiert nicht, was du dir in deinem Kopf an Abwegigkeiten zurechtlegst.«
Maren spürte, wie sie wütend wurde. Sie wusste nicht mehr, warum sie überhaupt gekommen war. Den Besuch hätte sie sich sparen können. Wortlos verließ sie die Küche.
Als sie ins Auto stieg, schüttelte sie den Kopf. So kannte sie Klara gar nicht. Trotzdem, die letzten Worte hätte sie sich sparen können. Nun waren sie gesagt. Sollte Klara mit ihnen machen, was sie wollte.

So als seien die letzten Minuten nicht geschehen, setzte sie ihre Aktivitäten fort. Sie brühte den Kaffee auf. Zum Essen war ihr immer noch nicht zu Mute. Eine innere Stimme ermahnte sie, es sei an der Zeit, wieder etwas zu sich zu nehmen. Sie beruhigte diese mit dem Gedanken an ihr letztes Heilfasten.
Die Zeitungen, die Maren auf dem Küchentisch abgelegt hatte, warf sie ungelesen in den Altpapierkorb. Sie hatte kein Interesse an der Außenwelt. Alle Kontakte der letzten beiden Tage waren doch eher unerfreulich und wenig hilfreich in ihrer Situation gewesen.
Situation? In welcher Situation befand sie sich eigentlich? Ihr Mann war ihr irgendwie abhandengekommen. Zumindest zeitweise. Sie wusste immer noch nicht, ob sie diesen Umstand eher bedauern oder erleichtert darüber sein sollte. Aber dieser Frage wollte sie vorerst nicht weitergehen.
Innerlich hoffte sie nur, dass Hannes so bald nicht wieder auftauchen würde. Sie spürte, dass sie Zeit für sich brauchte. Ungestörte Zeit. Ungestört von allen Verpflichtungen und lästigen Außenkontakten.
Da fiel ihr ihrSohn Nils ein. Von ihm wollte sie sich noch verabschieden, bevor sie ganz in sich abtauchte. Verabschieden, dies hörte sich eigenartig an. So als sei sie es, die entschlossen hätte, sich auf den Weg zu machen.
Vielleicht war es ja so etwas wie eine innere Reise, zu der sie im Begriff war aufzubrechen. Und zu der sie niemanden mitnehmen wollte. Jeder oder jede, selbst Maren nur störte.
Es tat ihr irgendwie Leid, wie barsch sie zu ihr gewesen war. Fand es dennoch in Ordnung. Es musste so sein, sonst wäre sie wohlmöglich jetzt noch da. Und dies würde nur ihre Abreise verzögern.
Wie sich das anhört. Konnte man verreisen, ohne die Koffer zu packen? Verreisen, ohne die Alltagsumgebung zu verlassen.
Nun fiel ihr auch noch ihrer Auftragsarbeit ein. Sie würde erst den Kunden anrufen und dann Nils.
Der Kunde war wenig erfreut, als er hören musste, dass die Fertigstellung der Skulptur sich auf unbestimmte Zeit verzögern würde. Er beharrte auf dem Termin und legte auf. Sein Gehabe machte wenig Eindruck auf sie. Meine Reise ist gebucht, dachte sie. Nichts würde sie mehr davon abhalten können.

»Hallo Nils!«
»Hallo Mama. Was ist passiert?«
»Nichts weiter. Hat Lea noch nicht mit dir gesprochen?«
»Nein.«
»Papa ist fort.«
»Fort?«
»Ja, er hat mir einen netten kleinen Zettel geschrieben und ist vor einigen Tagen auf und davon. Du brauchst dir aber keine Gedanken zu machen. Ich wollte es dich nur wissen lassen.«
»Mama, könntest du dich etwas klarer ausdrücken?«
»Klarer?«
»Klara!«
»Nils, lass die Wortspielereien. Mir ist nicht danach, Witze zu machen.«
»Also geht es dir doch nicht so gut, wie du vorgibst?«
»Ich habe nicht gesagt, dass es mir gut geht. Der Umstand, dass dein Vater sich aus welchen Gründen auch immer verdrückt hat, ist noch lange kein Grund sich den Tag zu vermiesen.«
»Wirklich nicht?«
Sie hielt inne. Nils hatte einen wunden Punkt angesprochen. In ihr gab es immer noch diesen Wust aus Wut, verletzter Eitelkeit, Enttäuschung und tiefer Traurigkeit.
»Doch …«
Weiter kam sie nicht. Sie merkte, wie sie schlucken musste.
»Mama, nun red schon?«
»Nils, natürlich bin ich fassungslos. Ich kann überhaupt nicht verstehen, warum und wieso Papa weg ist. Ich habe nur den Eindruck, es tut mir einfach besser, die Zeit für mich zu nutzen. Solange Papa halt fort ist. Besser auf jeden Fall, als den ganzen Tag zu klagen und zu heulen … und erwartungsvoll die ganze Zeit auf die Tür zu starren … in der Hoffnung, dass … dass er bald wieder hereinkommt.«
Nein, so bald brauchte Hannes wirklich nicht wiederkommen.
»Ich verstehe. Mama melde dich, wenn ich dir irgendwie helfen kann.«
Plötzlich packte sie das schlechte Gewissen. Nils sollte nicht meinen sie sei gleichgültig ob des Verschwindens seines Vaters. Auch, wenn dies im Augenblick zutraf.
»Sag mal Nils, hast du etwas von Papa gehört?«
»Nein, natürlich nicht. Sonst hätte ich dich ja längst angerufen, oder wäre vorbei gekommen.«
»Hast du eine Idee …?«
»Warum er weg ist? Vielleicht brauchte er einfach eine Auszeit für sich. Du weißt doch, wenn Männer in die Jahre kommen …«
Sie musste unvermittelt lachen.
»Ja, du hast Recht Nils.«
Womit hatte er Recht? Sie wusste es selbst nicht. Wollte aber nicht weiter darauf eingehen.
»Lass es dir gut gehen, mein Junge.«
»Mach ich. Und du, lass dich nicht unterkriegen. Und melde dich wirklich.«
»Werde ich.«
Nur wann, dachte sie, als sie auflegte.