Zielstrebig betrat er den kleinen Tabakladen. Angenehme Kühle kam ihm auf der Schwelle entgegen. Seine Augen brauchten eine Weile, bis sie sich an das Halbdunkel gewöhnt hatten. Er sah sich um. Verlegen. Fragender Blick, ohne Worte.
»Monsieur, kann ich Ihnen helfen?«, kam es aus einer Ecke des Ladens.
Verwirrt wandte er den Blick in jene Richtung, aus der die Stimme zu kommen schien.
»Ich weiß nicht«, antwortete er zurückhaltend, Zeit gewinnend.
»Ich bin mir nicht sicher, fuhr er fort. Es ist lange her, dass ich das letzte Mal hier war. Jahre. Früher hatten sie eine kleine Auswahl an Schreibutensilien. »
Während er dies sagte, sog er den angenehmen Duft frischen Tabaks ein.
»Ich bräuchte fünf Schreibblöcke, eine Anzahl Bleistifte und zwei Radiergummis nebst Anspitzer.«
Kurze Pause, dann fast entschuldigend:
»Alles was man zum Schreiben eben benötigt, wenn man sich nicht mehr auf die neueste Technik einlassen will.«
»Monsieur, es tut mir leid, Sie sind seit Jahren der Erste, der danach fragt. Meine Großmutter, Madame Poiret, sie hatte früher ein reiches Sortiment …«
Ganz in Gedanken hielt sie plötzlich inne. Als kleines Mädchen hatte sie Großmutters kleiner Tabakladen schon immer angezogen. Nur unter lautem Protest gelang es ihrer Mutter, sie aus dieser magischen Welt voller würziger Tabakdüfte herauszureißen.
»Monsieur«, begann sie erneut, »Sie wissen doch die Nachfrage bestimmt heute das Angebot. Jedoch, … warten Sie.«
Mitten im Satz verschwand ihr Oberkörper hinter der Ladentheke. Sie schien nach etwas zu suchen.
›Machen Sie sich doch keine Umstände‹, wollte er schon sagen. Er hielt inne. Genauer, sein Blick verfing sich im kräftigen Schwarz ihrer gelockten Haare. Kunstvoll zu einem Zopf geflochtenen fiel es der Schwerkraft und der seichten Wölbung ihres Rückens folgend leicht zur Seite.
Ohne es zu merken, war er ihrer Abwärtsbewegung durch leichtes Vorbeugen quer über die Ladentheke gefolgt und wäre, als sie sich abrupt wieder aufrichtete, beinahe mit ihr zusammengestoßen.
Im letzten Augenblick konnte er geschickt durch ein seitliches Ausweichmanöver dem Unvermeidlichen entgehen, verlor dabei jedoch die Balance und machte vor ihr, die gerade wieder den Blick gehoben hatte, einen kunstvollen Ausfallschritt. Ihr leicht verwunderter Blick begegnete einem sichtlich verlegenen.
Die wieder gefundene Standfestigkeit konnte nicht verhindern, dass sein Gesicht leicht errötete. Für einen Moment schwankte er innerlich. Sollte er es wagen, das seit langem unbeachtete und zum Ungewohnten gewordene Terrain zu betreten.
Eine nicht näher zu definierende Flut an Gedanken ließ ihn erneut wanken. All zu grotesk musste dies auf die junge Frau, deren Name er gar nicht kannte, wirken. Taumelnd, nach Halt suchend, begann er mit den Armen in der Luft zu rudern.
›Schadensbegrenzung‹, schoss es ihm durch den Kopf. In einer Mischung aus Geistesgegenwart und Akrobatik bekam er seine Hände unter Kontrolle, kam wie ein vom Wind geschüttelter Strauch endlich unter sich zum Stehen. Mit einem letzten Zucken schnellte sein rechter Arm ein weiteres Mal nach oben und wies wie selbstverständlich hinter sie auf das Regal mit den Zigaretten.
Der Gegenstand, den sie unter der Ladentheke hervorgezogen hatte, blieb unbeachtet.
»Ach, geben Sie mir doch bitte ein Päckchen Gauloises, ohne Filter!«
Noch bevor sie sich versah, hatte er bezahlt, die Packung Zigaretten ergriffen und den Laden, ohne Rückgeld fluchartig verlassen. Sie sah ihm fragend hinterher.