Abrupt löste er sich aus der Umarmung des Alten. Nach Orientierung suchend sah er sich um. Einen Augenblick, schien er nachzudenken. Dann rannte er talwärts los.
Irgendwann hielt er heftig atmend inne, wischte sich den Schweiß von der Stirn und sank in sich zusammen. Gegen den Berghang gelehnt, sah er in die vor ihm ausgebreitete Berglandschaft.
Das ›Toc-Toc-Toc‹ nahm er zunächst gar nicht wahr. Erst als es sich wiederholte und näher zu kommen schien, sah er auf und erkannte nicht weit von ihm entfernt einen mächtigen Vogel. Es war keiner von diesen Aasgeiern, die beständig über ihnen kreisten. Er hatte sich auf einem Vorsprung des steil unter ihm abfallenden Felsmassivs niederlassen. Im Halbprofil mit seinen angelegten Flügeln, die wie die Scherpe eines Hochzeitskleides weit über seinen Rumpf hinausragten, hatte seine ganze Erscheinung etwas Majestätisches. Sein Blick war in die unter ihm liegende Schlucht gewandt. Ihm stand der Atem fast still. Er verharrte reglos. Am wulstigen Kamm, der sich von seinem Hinterkopf bis zum Schnabelansatz erschreckte, konnte er ausmachen, dass es sich um ein Männchen handeln musste. Die an den Enden weißgefärbten Handschwingen konnte er nur erahnen. Mit dem festen Griff seiner Krallen fand der Vogel Halt auf einer leichten Erhebung des Vorsprungs. Erneut war diese ›Toc-Toc-Toc‹ zu hören. Es erinnerte an das Schnalzen mit der Zunge, die dem herausgepressten Atmen ihren eigenen Ton gaben. Er glaubte, erkennen zu können, wie sich der Kamm aufstellte. Offensichtlich befand sich das Männchen in der Balz. Von Ferne drang eine kaum hörbare Antwort auf seinen Ruf zu ihm. Dies war das Zeichen. Der Vogel breitete seine ungeheuren Schwingen aus, sprang ab und war mit wenigen Flügelschlägen schon verschwunden. Offenbar hatte er sich in die Schlucht gestürzt und würde bald schon wieder sich kreisend in die Höhe katapultieren.
Ehrfürchtig sah er ihm, als er wieder auftauchte, nach.
›Stehe ich vor dem Absprung und traue mich nicht?‹, fragte er sich.
So viele Jahre hatte er sich gewünscht, an diesen Ort zu kommen, in eine andere Welt einzutauchen, aber vor allem, jenem Meister begegnen zu können, von dem es hieß, er verfüge nicht nur über magische Kräfte, sondern sei trotz seiner Blindheit in einer Weise sehend, die seine Besucher erschaudern ließ. Für manche war er die Reinkarnation jenes Meisters, dem bis heute in der ganzen Welt viele Menschen huldigten. Nie war es ihm nur im Ansatz möglich gewesen, Zugang zu dem zu finden, was andere geradezu in Verzückung brachte, sie schwärmen ließ. Erkenntnis war es, was er sich erhoffte. Doch schon jetzt ahnte er, dass Erkenntnis nicht das Einzige sein könnte, das zu finden ihm die Reise offerieren würde.
Das Sein an diesem Ort, öffnete ihm alle Sinne und machte ihn empfänglich für unbekannte Eindrücke und Erfahrungen. Hier, das spürte er ganz deutlich, waren seine Sinne in Aufruhr. Es war ihm kaum möglich, die Fülle der Eindrücke einzuordnen. Sie prasselten auf ihn hernieder, wie die dicken Tropfen eines heftigen Gewitters. Er nahm sich vor, sich bedächtiger auf sie einzulassen, um nicht von den Sinnesstürmen hinweggefegt zu werden. Er wollte achtsamer seinen Weg fortsetzen und erkannte nun in dem Alten einen wertvollen Begleiter.
Schwankend erhob es sich.
Als er den Alten erreichte, schaute dieser ihn verständnisvoll an, nickte mit leicht angelegtem Kopf, so als wolle er fragen:«Gehen wir weiter.«
Er nickte.