Über dem Hochland ging die Sonne auf. Das Frühstück lag bereits hinter ihnen. Wie jeden Morgen bestand es aus einem Gebräu, dass so stark war, das sich jeder Kaffee, den Aloisius bis zu diesem Tage getrunken hatte, getrost dahinter verstecken konnte, dazu ein mehliger Fladen, über dem Feuer erhitzt, gefüllt mit etwas, das an Käse erinnerte, aber so scharf im Geschmack war, dass eine gehörige Überwindung dazu gehörte, ihn hinunterzuwürgen. Aloisius sagte sich jeden Morgen aufs Neue, dass nicht entscheidend war, was er zu sich nahm, sondern, dass er überhaupt etwas vom Alten, der seit dem gestrigen Tag Juan war, gereicht bekam.
Der Alte öffnete wie gewohnt vor ihrem Aufbruch die Hose und pinkelte solange auf das Feuer, bis nur noch Qualm aufstieg. Aloisius drehte sich stets verlegen um. Gleichwohl brannte sich auch dieser Augenblick in sein Gedächtnis ein. Ein Bild, das so bizarr war. Der Alte pinkelnd, Rauchschwaden, die gen Himmel zogen und alles vor diesem imposanten Panorama. Das Bild wäre geeignet zum nächsten Bild des Jahres prämiert werden können. Natürlich in Schwarzweiß. Er bedauerte, keinen Fotoapparat dabei zu haben. Der Alte faszinierte ihn. Vor seinem inneren Auge erstand jeder einzelne Schnappschuss der vergangenen Tage.
Der folgende Tag führte sie aus dem Hochland hinab in eine kahle Ebene. Das satte Grün war einem lehmigen Grau gewichen. Die Sonne brannte und stach.
Aloisius blieb immer wieder stehen, japste nach Luft. Die Kehle war ausgebrannt. Er hatte das Gefühl, als pfeife der Wind beim Einatmen durch aufgerissene Spalten seines Gaumens.
Der Alte setzte unbeirrt den Weg fort, sichtlich unberührt von dem Glutofen, den zu durchschreiten mit jedem Schritt mühsamer wurde. Bald waren er und der Esel nur noch als Punkte am Horizont zu erkennen.
Trotz seiner Kopfbedeckung, einem alten Strohhut, den ihm der Alte, wahrscheinlich in Anbetracht des zu Erwartenden am Morgen gereicht hatte, war ihm, als würde das, was unter seiner Schädeldecke so sicher geschützt zu sein schien, schon bald von der Hitze versengt werden und sich in eine einzige Masse verwandeln.
Aloisius wurde schwindelig. Er sah hilfesuchend nach dem Alten. Er konnte weder ihn noch den Esel ausmachen. Selbst die beiden Punkte am Horizont waren verschwunden. Er ließ sich zu Boden sinken.
›Seltsam wie gelassen ich bin‹, dachte er. Jeder Impuls, wieder aufzustehen, wich dahin, wie ein Wassertropfen, der auf einen heißen Stein fällt und ihm nächsten Moment bereits verdampft ist. War er bereit zu verdampfen?
Er schloss die Augen, atmete tief ein, so als wäre dies sein letzter Atemzug. Und wartete. Aber nichts geschah.
Seine Hand kroch langsam seinen Körper aufwärts, bis an jene Stelle, wo sein Herz sitzen musste. Er versuchte, sich zu konzentrieren, wollte seinen Herzschlag ertasten. Vergeblich. War er bereits tot und das Gehirn war noch für eine Weile aktiv, bevor es seine Funktion aufgab? Gespannt wartete er, ob das von vielen verheißene Lebenspanorama endlich beginnen würde. Schon oft hatte er sich vorgestellt, wie dies sein würde. Aus welchen Bildern wäre seines zusammengesetzt?
Als nichts dergleichen passierte, war Aloisius zunächst enttäuscht, dann sagte etwas in ihm, dass er sich nicht wundern brauche, da er doch nicht wirklich damit gerechnet habe. Dennoch wuchs in ihm mit jeder Sekunde, die sich endlos zog, die Spannung. Was würde ihn nun wirklich an seinem Ende erwarten?
An einem hatte er keinen Zweifel mehr. Dieser Gedanke stand so klar vor ihm, während alles Andere sich nur noch verschwommen in seinem Bewusstsein entfaltete: Dies waren die letzten Minuten seines Lebens.
›Er kommt unerwartet wie so häufig‹, dachte er. Ein Gefühl für Raum und Zeit entschwand ihm. Hüpfend von Gedankenfetzen zu Gedankenfetzen schien sein Bewusstsein, mehr und mehr zu entschwinden. Nur noch für kurze Bruchteile von Sekunden, reichte der flacher werdende Herzschlag aus, das Gehirn mit letzten Resten an Sauerstoff zu versorgen. Das Letzte, was er dachte, oder spürte er es, oder war es beides in einem, oder von ganz anderer Natur, glich einem Hauch. Etwas löste sich und entwich.