Der Alte hatte sich über ihn gebeugt. Er öffnete seine Hose, zog sie ihm aus und streifte sie samt seiner Unterhose bis über beide Knie. In der einen Hand hielt er das Messer, nahm einen Schluck aus der noch geöffneten Flasche und prustete einen sprühenden Schwall über die Klinge. Sodann packte er mit Daumen und Zeigefinger seiner Linken den faltigen Hautlappen, zog daran, als wolle er diesen aufspannen. Ein leichtes Zucken ging durch Aloisius Körper, als die Rechte des Alten mit einer schwungvollen Bewegung die Vorhaut abtrennte und sie auf den hinter ihm liegenden Felsen ablegte.
Der von einem Vortage bekannte Gestank und ein leichtes Brennen im Schritt empfingen Aloisius, als er wieder zu sich kam. Es war längst dunkel. Der Alte saß am Feuer und rührte im Topf.
Erst am nächsten Tag sollte Aloisius dessen gewahr werden, welche Handlung der Alte an ihm vollzogen hatte. Die Salbe bewirkte wieder Wunder, so dass er den Wundschmerz kaum spürte und diesen für eine Folge mangelnder Hygiene hielt.
Aloisius aß mit großem Appetit. Was er zu sich nahm, war unbedeutend. Die Speise vertrieb letzte Überreste eines Brennens, das ihm vor kurzem noch fast unerträgliche Qualen in seinen Eingeweiden beschert hatte. Der Alte sah ihm zu und schien beruhigt, wie er sich über den Napf gebeugt ganz seinem Essen hingab.
Aloisius, der kaum Zeit mit dem Leeren der ersten Portion verbracht hatte, dessen Essen nichts von Genuss erkennen ließ, mehr einem in sich hinein Stopfen begleitet von kaum überhörbaren Schmatzgeräuschen glich, bekam einen Nachschlag vom Alten gereicht, der in weiser Vorsicht mehr gekocht hatte.
Nachdem Aloisius die letzten Reste aus seinem Napf gekratzt hatte, reichte der Alte ihm einen Becher und machte mit entsprechender Geste deutlich, dass es sich bei dem Inhalt um ein heißes Getränk handeln musste.
In Gedanken nahm Aloisius den Becher entgegen, stellte ihn vor sich ab und griff er Minuten später wieder zu ihm. Irgendetwas schien sich tief in ihm verändert zu haben. Noch ruhte es verschlossen in ihm. Aloisius wirkte abwesend. Sein Körper folgte mechanisch den Anweisungen, die das Gehirn an ihn sandte. Gleichzeitig wirkte seine Erscheinung so, als sei sie um ihrer Selbst beraubt.
Der Alte schien um das, was gerade geschah zu wissen und wie gewohnt sorglos. Er ging zum nahegelegenen Bach, in dessen Nähe der Esel sich zur Nachtruhe niedergelegt hatte und wusch die Essensutensilien aus. Als er zum Lagerfeuer zurückkehrte, war Aloisius in sich gefallen. Offensichtlich schlief er. Der Alte warf ihm eine Wolldecke über, legte noch einige Äste auf das Feuer und sich dann selbst zur Nachtruhe nieder.
Im Traum fand sich Aloisius in einem unterirdischen Labyrinth wieder. Die warme Luft roch modrig. Tastend folgte er den schmalen Gängen auf der Suche nach einem Ausgang. Immer wieder endeten jene in einer Sackgasse.
Die anfänglich aufkommende Panik wich mehr und mehr einer inneren Gelassenheit. Zwischendurch verharrte er, lauschte in die tiefe Dunkelheit, die in umgab. Er konnte den eigenen Herzschlag hören. Sein Kopf war erfüllt von einem Rauschen. Ihm war, als öffne sich jede Pore seines Körpers. Schwaden stickiger Luft umhüllten ihn und erschwerten das Atmen. Seine Kleidung klebte am ganzen Körper. Er knöpfte das Hemd auf, zog es aus und ließ es neben sich fallen. Während er sich der Hose entledigte, konnte er einen sanften Windhauch auf seiner Haut spüren. Er spürte, wie er eine Gänsehaut bekam. Mit einem Mal war ihm, als höre er von Nahem das Knistern eines Feuers.
Als er sich abrupt umwandte, schwanden im langsam die Kräfte. Er musste einen Ausfallschritt machen, um nicht hinzufallen. Einen Augenblick hielt er inne, versuchte gelehnt an die Felswand, zu neuem Atem zu kommen. Sein Herz schlug so heftig, dass er den Eindruck hatte, jeden Augenblick in Ohnmacht zu fallen.
Nach einer Weile konnte er seinen Weg fortsetzen. Als sich am Ende des Ganges ein einige Meter breiter Raum auftat, konnte er das schwach lodernde Feuer in der Mitte ausmachen.
Eine merkwürdige Gestalt wandte sich zu ihm und sah ihn an. Beim Näherkommen erkannte er ein Wesen, das einem Schlangenmenschen glich. Sein hagerer Körper war überzogen von sich abwechselnden matten und glänzenden Schuppen, die in ihrem Wechselspiel das fahle Licht des Lagerfeuers unterschiedlich in einzigartigen Farbspektren reflektierten. Die Extremitäten hatten etwas Echsenartiges. Der Kopf glich dem einer Kobra mit einem mächtigen Nackenschild.
Unbeirrt vom äußeren Erscheinungsbild nahm Aloisius neben dem Schlangenmenschen Platz.
»Was führt dich zu mir«, fragte dieser.
»Ich kann es dir nicht sagen. Auf meiner Wanderung fand ich mich plötzlich in einem Labyrinth wieder, aus dem keinen Ausgang fand, bis ich das Knistern dieses Lagerfeuers hörte. Und nun bin ich hier.«
Der Schlangenmensch sah ihn fragend an.
»Du weist, wer ich bin?!«
»Ganz und gar nicht«, erwiderte Aloisius.
»Du siehst mir so sonderbar aus.«
»Ich bin ein Wesen aus einer anderen Welt, oder nenn es einem Zwischenreich. Ich bin halb Mensch und halb Schlange. Manche sagen, ich habe mich nicht entscheiden können, das Eine oder das Andere zu sein. In meinen Augen genieße ich die Vorzüge von beiden Seinsformen. Als Mensch verfüge ich über Verstand und als Schlange über Unsterblichkeit. Denn wisse, sobald ein Leben sich dem Ende neigt, werfe ich mein Schuppenkleid ab und erstehe zu neuem Leben.«
Aloisius hörte aufmerksam zu, konnte aber nicht recht glauben, was er da hörte. Er sah nachdenklich in die Funken des Feuers und versuchte zu verstehen, was der Schlangenmensch ihm zu verstehen gab.
»Willst du auch Unsterblichkeit erlangen? Mir ist die Macht gegeben, dich durch ein Ritual für dieses vorzubereiten.«
Ein leises Pfeifen entwich Aloisius. Dann schüttelte er den Kopf.
»Nur Mut, mein Lieber, noch hat jeder, meinem Angebot nicht widerstehen können.«
»Dann werde ich wohl der Erste sein.«
»Was hindert dich? Will nicht jeder Unsterblichkeit erlangen.«
Aloisius schüttelte erneut, jetzt noch heftiger, seinen Kopf.
»Das eine Leben, so will mir scheinen, reicht mir vollkommen. Warum immer und immer wieder dem steten Auf und Ab, den Wirrungen des Lebens ausgesetzt sein. Nein wirklich, es reicht, was ich mein Leben nennen darf.«
»Dann lass mich ein anderes Ritual an dir vollziehen. Eines, was dich auf jeden Fall in die Lage versetzt, ein anderer Mensch zu werden.«
Aloisius dachte einen Augenblick nach und nickte dann zustimmend.
»Wenn es eine Möglichkeit gibt, das Alte hinter sich zu lassen, sich dessen wie einer unliebsamen Haut zu entledigen, dann will ich mich darauf einlassen.«
Wenig später forderte ihn der Schlangenmensch auf, sich niederzulegen. Bald schon begannen seine Echsenarme vor seinen Augen einen wilden Tanz zu vollführen, bis Aloisius in einen tiefen Schlaf fiel.
Als er wieder erwachte, war der Schlangenmensch verschwunden. Neben ihm lag eine seltsame Hülle, die in Form und Aussehen seinem Körper glichen. Und dort, wo sich in Brusthöhe das Herz befinden musste, war ein faustgroßes Loch. Intuitiv griff er an seine Brust und konnte eine kleine Wunde ertasten. Den leichten Schmerz, der aus einer tieferen Region seines Körpers zu kommen schien, nahm er kaum wahr.
Als er am nächsten Morgen, die Sonne war gerade über den Rücken des Berges gekrochen, hatte Aloisius beim Erwachen eine Hand tief in seine Hose gesteckt. Sie umschloss mit festen Griff sein verletztes Geschlecht.