„Du ekelst mich an. Deine ganze Existenz ekelt mich an.“
Ein von unbändigem Hass erfüllter Blick begegnet mir. Jede Faser ihres Seins kommt mir mit spitzen Pfeilen entgegen. Gift und Galle spritzend verzieht sich ihr Gesicht für einen Augenblick zu einer gruseligen Fratze.
„Endlich ist es raus.“
Ihre Augen quellen aus ihren Höhlen. Ich schnappe nach Luft.
„Ich ertrage deine Gegenwart nicht länger. Alles an dir ist so jämmerlich. Wie habe ich es nur so lange mit dir ausgehalten? Du bist mir einfach nur noch zu wider. Was siehst du eigentlich, wenn du dich morgens im Spiegel betrachtest?“
Ich bekomme kein Wort heraus.
„Mit dir …“
Hier bricht sie ab, steht vom Esstisch auf und verlässt die Wohnung.
Tage später, als sie zurückkehrt, scheint zunächst alles beim Alten zu sein. Sie begrüßt mich fast zärtlich mit einem Kuss. Noch bevor die Schwere so gänzlich von mir weichen kann, holt sie erneut aus.
„Glaubst du im Ernst, etwas hätte sich in der Zwischenzeit verändert? Wie naiv bist du nur?“
Ich sehe sie fragend an.
„Verschone mich mit deinem Hundeblick. Ich bin nicht gekommen, um dir den Fressnapf erneut zu füllen. Es ist aus mit uns.“
Ein Ruck geht durch mich durch.
„Was ist nur los mit dir? Was habe ich falsch gemacht?“
„Hör auf zu winseln. Das ist noch demütigender, als all das, was du mir seit langem zumutest. Sei doch endlich mal ein Mann und nicht solch ein Waschlappen, der immer nur seinen Frieden haben will.“
„Ich …“
Wieder unterbricht sie mich.
„Weißt du, wie oft ich dich zur Hölle gewünscht habe?“
Nun bin ich es, der wortlos aufsteht, die Wohnung verlässt. Wankend trete ich in die kalte und sternklare Nacht.
Mir ist übel. In meinen Eingeweiden wütet ein brennender Schmerz. Ich versucht, mich zu beruhigen, hole tief Luft, spüre den festen Boden unter mir und beschleunige meinen Schritt.
Als ich die Bar betrete, begrüßt mich das gewohnt freudigen Trällern Pauls.
„Clemens, du bist kreidebleich. Palastrevolte zu Hause? Hat dich dein Hofstaat vom Thron gestoßen.“
„Verschone mich mit deinen Witzen. Mir ist ganz und gar nicht zum Scherzen zu Mute. Reich mir einen Doppelten!“
Paul schenkt ein und schiebt das Glas über den Tresen.
„Also doch Ärger zu Hause?!“
„Meine Frau macht mir die Hölle heiß. Es würde mich nicht wundern, wenn sie dieses Mal ernst macht.“
„Sie will dich verlassen.“
Ich nicke.
„Gib mir noch einen!“
„Glaubst du wirklich, deinen Kummer herunterspülen zu können? Ich meine, ich lebe davon. Mir soll’s recht sein.“
Paul lacht auf.
„Du siehst mich wie ein hergelaufener Straßenköter an, dem man gerade sein Fressen entzogen hat.“
„Jetzt fange du nicht auch noch damit an. Lass mich in Ruhe mit deinen Sprüchen. Schenk ein und halte die Klappe!“
Erschreckt über meine letzten Worte sehe ich mich um. Die Bar ist fast leer. An einem Tisch sitzt ein Pärchen. Es ist mit sich selbst beschäftigt und hat wohl nichts von meinem Ausbruch mitbekommen.
„Wie Sie wünschen, mein Herr. Einen Doppelten und keine weisen Sprüche mehr.“
Ich nickte verlegen.
„Erlaube mir dennoch eine Bemerkung. Dich scheint wirklich etwas niedergestreckt zu haben. Deinen Andeutungen entnehme ich, dass es dabei um deine Frau geht. Bist du gerade dabei, dein Leben wieder im Schongang zu regeln? Offensichtlich hat sie dich wieder einmal hart attackiert worden. Und anstatt den Stier bei den Hörnern zu packen, bist du davongelaufen.“
Wütend schleuderte ich das noch volle Glas vom Tresen. Als ich aufspringe, wirft es mich vom Barhocker. Ich gehe samt Hocker zu Boden.
Erschreckt blickt das Pärchen auf.
„Clemens beruhige dich, ich wollte dir nicht zu nahe treten und dich schon gar nicht verletzen. Komm, lass uns einen Augenblick nach draußen gehen. Du verschreckst mir gerade die einzigen Gäste.“
Schwankend hake ich mich bei Paul ein und lasse mich von ihm in den Innenhof führen. Als er mich in den Arm nimmt, bricht ein tiefes Schluchzen aus mir hervor.
Kopfschmerzen. Wahnsinnige Kopfschmerzen. Dies waren seine ersten flüchtigen Gedanken, als er die Augen öffnete.
Irritiert sah er sich um. Ein schmaler Lichtstrahl fiel durch die zugezogenen Vorhänge ins Zimmer. Ungewohnter Straßenlärm drang durch das geöffnete Fenster. Er lag, soviel konnte er sagen, in einem Bett. Doch es war nicht seinem Bett. Und das kahle, weiß getünchte Zimmer war ihm auch nicht bekannt. Er versuchte, sich zu konzentrieren. Das Pochen und Hämmern in seinem Kopf machte es ihm fast unmöglich.
Er brauchte Minuten, bis er für sich klar hatte, dass er sich offensichtlich in einem Krankenzimmer befand. Infusionsschläuche waren mit seinem Körper verbunden. Es gelang ihm nicht, sich an irgendetwas zu erinnern. Erschöpft fiel er wieder in den Schlaf.
„Wie ich dich geliebt habe. Ich habe dich geradezu angehimmelt. Dein Brennen für Gerechtigkeit, für die Ärmsten der Armen in der Welt. Und für diesen komischen Kauz mit Mütze. Eine Zeitlang liefst du täglich mit dieser Kopfbedeckung herum, egal wie warm oder kalt es war. Alle haben dich für überdreht gehalten. Ich habe zu dir aufgeschaut. Ich habe dich bewundert.“
Ich hole zum Gegenschlag aus. Endlich hat sie mir ein passendes Stichwort geliefert. Ich muss schnell agieren.
„Und du hättest dich früher nie gefragt, was die Wollmütze, die du über alles geliebt hast, mit deinen Haaren anrichtet. Heute muss ja alles aus Seide und Spitze sein. Man traut sich gar nicht mehr, dich anzufassen.“
„Man? Du bist es doch, der mich nicht mehr anpackt. Ich habe aufgehört die Monate zu zählen.“
Ihre giftigen Worte verfehlen nicht ihre Wirkung. Äußerlich betrachtet stehe ich auf beiden Beinen, innerlich bin ich kurz vor einem Zusammenbruch. Mühsam versuche ich, Fassung zu bewahren. Ich mache einen Schritt auf sie zu.
„Die Dame möchte angefasst werden?“
„Untersteh dich. Die Zeit ist vorbei. Deine schmierigen Hände mögen sich auf deinen Aktendeckeln verewigen.“
Angewidert macht sie einen Schritt zurück und wendet sich ab.
„Ich habe wirklich an dich geglaubt. Erst spät ist mir aufgegangen, dass es doch nur eine haltlose Masche von dir war. Was hast du damit eigentlich bezweckt?“
„Bezweckt?“
Sie holt tief Luft. Ihr Gesicht läuft rot an.
„Jetzt tue nicht so. Glaubst du etwa, ich hätte freiwillig dieses kratzende Ding getragen. Ich bin dir so etwas von auf den Leim gegangen. Ich habe wirklich gedacht, du meinst es ernst. Eine Zeit lang wäre ich dir sogar in den Dschungel zu deinem Mützenträger gefolgt.“
Ihr Blick geht nach innen. Sie denkt nach.
„Ich hätte es besser wissen müssen. Wahrscheinlich wolltest du mich nur gefügig machen.“
„Es ist widerwärtig, wie du unsere Geschichte durch den Kakao ziehst.“
„Haben wir je eine gehabt?“
„Du musst es ja wissen. Ich höre mir diesen Schwachsinn jedenfalls nicht länger an. Mir reicht’s. Ich werde noch einen trinken gehen.“
„Bestell deinem Paul einen schönen Gruß von mir und bitte ihn, er soll dir endlich mal den Kopf waschen. “
Als er spät am Abend wieder wach wurde, beugte sich jemand über ihn. Die Frau, die ihn freundlich ansah, kannte er nicht. Er schloss die Augen, um sie sogleich wieder zu öffnen. Über ihm immer noch die gleiche ihm unbekannte Frau. Sie versuchte offenbar, mit ihm zu sprechen. Von weit her dringen dumpfe Wortfetzen zu ihm vor:
„Wi. ge.. es ..nen? S.. ha… …ge g. schla…“
Das Gehörte ergab keinen Sinn. Er kniff die Augen zusammen. Konzentrierte sich. Vergeblich. Sein Bewusstsein verweigerte ihm den Dienst. Und dann wieder diese wahnsinnigen Kopfschmerzen.
Die Frau sah in sein schmerzverzerrtes Gesicht. Automatisch ging ihre Hand an den Ständer, der neben dem Bett stand. Sie drehte an einem Rädchen. Sie wusste offenbar, wer sie war, wo sie war und was sie tat.