Ches Mütze XVIII

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„Folgen Sie uns!“
Mir ist gleich bewusst, dass diese Forderung mir gilt. Der Glatzkopf weist mit seiner Hand vor sich hin.
In mir entfacht eine Feuersbrunst. Urplötzlich werde ich von einer unbändigen Hitze erfasst. Etwas bricht über mich herein. Es ist, als ob ein Scheit Holz unter der Hitze zu reißen beginnt. Eine alte längst vergessene Wunde bricht auf. Mir wird übel. Ich beginne zu wanken und muss mich am Geländer der Veranda festhalten. Die Hand des Glatzkopfs zeigt unbeirrt in Richtung des Polizeiwagens, der vor dem Haus steht, während Erinnerungen in mir aufsteigen. Bilder einer protestierenden Menge und wie wild auf sie einschlagende Polizisten. Es gibt kein Entrinnen. Die Kundgebung ist zu einer Demonstration beiderseitiger Gewalt eskaliert. Schützend strecke ich beide Arme empor. Da trifft mich ein harter Schlag in die Kniekehle. Mir wird übel. Ich breche zusammen.

„Stehe Sie auf!“
Die schrille Stimme des Glatzkopfs holt mich zurück in die Wirklichkeit. Ich liege am Boden. Ich muss für Augenblicke das Bewusstsein verloren haben. Der Milde reicht mir lächelnd die Hand und hilft mir auf. Mühsam gelingt es mir, mit seiner Hilfe wieder auf die Beine zu kommen. Wankenden Schrittes setze ich willenlos einen Schritt vor den anderen.
Der Glatzkopf reißt wirsch eine der hinteren Wagentüren auf, drückt unsanft meinen Kopf nach unten und schiebt mich auf den Rücksitz.
„Der Kommandante lebt“, höre ich eine mir bekannte Stimme hinter mir herrufen. Ich wende den Blick durch das geöffnete Fenster zurück und erkenne den Jungen, der sich mir vor Kurzem noch in den Weg gestellt hatte.
In der Polizeitstation angekommen, werden ich sogleich in den Verhörraum geführt.
„Sie sind als Letzter mit Álvaro gesehen worden“, hält der Glatzkopf mir vor.
„Wir haben Zeugen, die sie gesehen haben.“
„Gesehen haben?!“, gebe ich erstaunt zurück.
„Natürlich kann mich jemand mit Álvaro gesehen haben. Wir saßen doch lange für alle sichtbar auf der Veranda und haben uns unterhalten.“
Der Augenaufschlag des Glatzkopfs gibt mir unmissverständlich zu verstehen, dass mit ihm nicht zu spaßen ist. Etwas in mir zieht sich zusammen und erwarte den Schlag, der mich niederstrecken wird. Unbeabsichtigt, reiße ich beide Arme schützend in die Höhe.
„Sieh an, da hat jemand wohl Angst. Haben Sie doch etwas zu verbergen?“
Ich schüttele energisch den Kopf. Mir wird erneut schwarz vor Augen.

Der bestialische Geruch nach Schweiß und Urin raubt mir fast die Besinnung. Man hat uns wie eine Horde Vieh auf dem Weg zum Schlachthaus in einem Pritschenwagen zusammengepfercht. Mir gegenüber kauert ein junger Mann. Seine Jacke ist blutverschmiert. Schmerzverzerrt hält er sich am Kopf. Aus seiner klaffenden Wunde tropft Blut.

„Nun reicht es aber. Wir haben genug von Ihren Spielchen.“
Die Stimme des Glatzköpfigen ist ein weiterer Schlag in die Eingeweide. Ich verdrehe die Augen.
„Lass ihn doch erst einmal zu sich kommen“, lenkt der Milde ein.
„Nichts da. Wir sind doch nicht im Vergnügungspark.“
Ich schnappe nach Luft. Nach einigen kontrollierten Atemzügen komme ich etwas zur Ruhe. Mein Blick wird klarer, wenngleich mein Verstand immer noch nicht erfassen kann, was sich gerade ereignet. Die Anspannung in mir will einfach nicht weichen.
Schon eilt mir die nächste Attacke des Glatzköpfigen entgegen.
„Sie sind gestern Nacht im Garten gesehen worden. Sie sind dabei beobachtet worden, wie Sie mit Álvaro in einen Streit verwickelt waren.“
„Streit?“, entfährt es mir eine kaum hörbarer Verwunderung.
„Das muss ein Irrtum sein. Ich war letzte Nacht nicht mehr im Garten. Und Álvaro habe ich nach meiner Rückkehr von meinem Spaziergang nicht mehr gesehen.“
Mit einem Mal wird mir bewusst, worauf der Glatzköpfige hinauswill. Er verdächtigt mich, durchzuckt es mich.
„Wir haben einen Zeugen.“
„Zeugen?“
Ich kann nicht fassen, was ich da höre.
„Er muss sich irren. Ich war erst heute Morgen wieder im Garten. Ein Schrei hat mich aufgeweckt und ich bin daraufhin hinausgeeilt. All dies habe ich schon bei unserem ersten Gespräch erklärt.“
„Was haben Sie eigentlich zu verbergen. Erzählen Sie uns endlich die Wahrheit. Sie müssen nichts befürchten. Álvaro hatte nicht viele Freunde. Das ist hier allen bekannt. Im Grunde genommen, wenn man es genau nimmt, haben Sie einigen von uns einen großen Gefallen getan.“
Die Stimme des Glatzköpfigen hat einen sanften Ton angenommen. Alles nur Verhörtaktik, sagt etwas in mir.
„Ich kann Ihnen wirklich nicht folgen“, versuche ich klarzustellen.
„Wenn Álvaro offensichtlich Feinde hatte, warum verdächtigen Sie mich, einen ahnungslosen Touristen, der sich allein zu Gute halten kann, die Gastfreundschaft des Ermordeten in Anspruch genommen zu haben. Steht dies auch unter Strafe?“
Selbst verwundert über meine Worte, sehe ich den Glatzköpfigen herausfordernd an. Ich bin gespannt, wie er reagieren wird. Werden meine Worte ihn endlich zum Einlenken bewegen können.
„Sie sind sich wohl nicht über den Ernst Ihrer Lage bewusst. Aber ich seh schon, wir kommen so nicht weiter mit Ihnen. Wir werden Sie bis auf Weiteres in Gewahrsam nehmen.“
„Dazu haben Sie kein Recht. Ich bestehe darauf, Kontakt mit der Botschaft aufnehmen zu können.“
Der Glatzköpfige lacht auf.
„So, so. Sie einer an. Sie geben also doch zu, dass Sie Hilfe brauchen?“
„Ich habe nicht vor, mich verteidigen zu lassen. Dazu gibt es keinen Anlass. Sie halten ohne jeden Grund einen Unschuldigen fest. Ich werde mit haltlosen Beschuldigungen behelligt. Diesen willkürlichen Methoden muss doch Einhalt geboten werden.“
Der Glatzköpfige reißt die Augen auf. Ich bin froh, als dieser nur den Milden anzischt und ich nicht meine Unterlegenheit durch einen gewalttätigen Ausbruch seinerseits zu spüren bekomme.
„Ab in die Zelle mit ihm! Dort soll er zur Vernunft kommen.“
Der Milde springt sogleich auf, packt mich unsanft am Arm und führt mich in ein dunkles Loch. Die abgestandene und übel riechende Luft lässt meinen Atem stocken. Ich sinke auf den Boden nieder. Er ist kalt und feucht. Ich bin zu schwach, um diesem Umstand irgendeine Bedeutung zu geben, und falle endgültig in mir zusammen.

Nachdem ein Polizeibeamte meine Personalien aufgenommen hat, werde ich in eine Sammelzelle gebracht. Hier befinden sich bereits an die zwanzig Festgenommene. Ich kann nicht sagen, ob es sich bei allen um wirkliche Demonstranten handelt. Vielleicht sind sie wie ich nur zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Ich hätte auf meinem Heimweg den Ort des Geschehens meiden sollen. Vor dem nächsten Tag wird man uns sicher nicht freilassen. Mein Wunsch, einen befreundeten Anwalt zu kontaktieren, wurde mir verwehrt. Vorerst sitze ich im wahrsten Sinne des Wortes fest. Es ist kalt, die Luft stickig. Ich finde keinen rechten Schlaf. Das Winseln eines Verletzen hält mich wach. Wirre Gedanken tragen das ihre dazu bei, dass ich keine Ruhe finde.

Ich muss eingenickt sein. Ein Krabbeln in meinem Hosenbein, lässt mich hochfahren. Ich schreie auf. Wie wild schüttle ich mein Bein und klopfe meinen ganz Körper ab. Im fahlen Licht, das von einer matt scheinenden Glühbirne am Ende des Ganges in die Zelle scheint, erkenne ich eine Kakerlake, die sich gemächlich wegschleicht.