Ein Schlag gegen die Gitterstäbe schreckt mit auf. Irgendwann in der Nacht muss ich eingeschlafen sein. Am Boden liegend richte ich mich langsam auf.
Vor den Gitterstäben hat sich der Glatzkopf in Pose gebracht. Ich befürchte Schlimmes, beruhige mich jedoch schnell wieder, als ich neben ihm eine weitere Person ausmache. Offensichtlich handelt es sich beim Herrn im dunklen Anzug um einen Landsmann. Dies wird mir sogleich bestätigt. Ich atme auf.
„Hier ist ein Mitarbeiter der Botschaft. Was er hier will, kann ich nicht sagen. Sie können mir glauben, ich habe ihn sicherlich nicht gerufen. Er stand soeben plötzlich in meinem Büro und hat nach Ihnen gefragt. Ich werde ihn nun zu Ihnen hereinlassen.“
Der Glatzkopf greift zum Schlüsselbund und öffnet. Der Mann ihm Anzug betritt die Zelle.
„Ich bin von Álvaros Sohn angerufen und über die Ereignisse in Kenntnis gesetzt worden. Wir werden sehen, ob ich Ihnen helfen kann. Mein Name ist Hans Osterlo.“
Erleichtert über sein Erscheinen vergesse ich für einen Augenblick das muffige Loch, in dem ich die zurückliegende Nacht verbracht habe.
„Es freut mich, dass Sie hier sind. Sie können mir sicher dabei helfen, diesen unwirklichen Ort zu verlassen. Schließlich handelt es sich um ein großes Missverständnis. Ich habe mit dem Mord an Álvaro nun wirklich nichts zu tun. Außer, dass ich betroffen bin von der bestialischen Weise, wie seinem Leben ein Ende bereitet wurde.“
„Ich will Ihnen keine all zu großen Hoffnungen machen. Sehen wir, ob und wie ich Ihnen behilflich sein kann. Vielleicht erzählen Sie mir zunächst, was aus Ihrer Sicht vorgefallen ist. Und dann sehen wir weiter.“
Osterlo dreht sich zum Glatzkopf, um bittet ihn durch ein resolutes Nicken, uns alleine zu lassen. „Sie werden verstehen, dass ich das Gespräch allein mit dem Verdächtigten führen möchte. Vielleicht sind Sie liebenswürdig und bringen uns noch zwei Stühle.“
Widerwillig zieht der Glatzkopf ab. Nach einiger Zeit kommt der Milde mit zwei Stühlen zurück. Als wir wieder allein sind, schaut mich Osterlo fragend an. Ich verstehe seinen Blick als Aufforderung und beginne sogleich von den Ereignissen seit meiner Ankunft vor einigen Tagen zu berichten. Er hört mir aufmerksam zu, ohne mich zu unterbrechen.
„Es ist schon merkwürdig, was sich seit meiner Einreise in dieses Land ereignet hat. Im Grunde genommen wollte ich doch nur eine Reise machen. Einen Ort besuchen, den ich vor vielen Jahren schon einmal ins Auge gefasst hatte, weil er damals Schauplatz besonderer Ereignisse war.“
„Sie sind also auf den Spuren des Comandante?“
„So kann man es sagen. Es wundert mich, dass Sie ihn so nennen.“
„Nun, ich habe mich daran gewöhnt, ihn so zu nennen, wie ihn viele hier noch nennen. Was dies zu bedeuten hat, habe ich bis heute jedoch nicht so recht verstanden.“
Sogleich muss ich an den Jungen denken, der mich auf eigentümliche Weise zu verfolgen scheint.
„Stellen Sie sich vor, mich scheint ein Junge von hier zu verfolgen. Ich bin ihm mehrfach begegnet und jedes Mal sprach er davon, dass der Comandante lebt.“
Osterlo schüttelt den Kopf.
„Lassen Sie uns bei den Fakten bleiben.“
„Fakten?! Sie glauben doch nicht auch, dass ich mit dem Mord etwas zu tun habe.“
Ohne auf meinen Einwand einzugehen, setzt Osterlo seine Ausführungen fort.
„Ich habe vor unserem Gespräch mit den Beamten der hiesigen Polizeiwache gesprochen. Sie verdächtigen Sie. Sie sind dabei Indizien zu sammeln, auch solche, die gegen Sie sprechen. Auf der Kleidung des Ermordeten sind DNA-Spuren gefunden worden. Und der Glatzkopf, entschuldigen Sie bitte, wenn ich ihn so nenne, aber er hat sich leider nicht vorgestellt.“
Hier unterbreche ich Osterlo.
„Ich nenne ihn auch so. Mir geht es nicht anders als Ihnen.“
„Also, der Glatzkopf ist auf jeden Fall überzeugt, dass die Spuren, die man sichergestellt hat, von Ihnen sind. Er will einen DNA-Test veranlassen lassen.“
„Das kann doch nicht sein. Muss ich mir das gefallen lassen. Habe ich kein Recht, die Probe zu verweigern?“
„Formal gesehen im Augenblick schon. Es liegt noch keine richterliche Genehmigung dafür vor. Aber diese sollte bald schon erteilt werden.“
„Und dann?“
„Dann werden Sie sich nicht weigern können. Sie haben doch nichts zu befürchten, wie Sie selbst eingeräumt haben. Oder doch!?“
„Natürlich nicht. Das heißt, ich denke schon, dass man fündig werden wird. Schließlich hatte Álvaro, als ich ihn gestern Morgen im Garten kurz zu Gesicht bekam, noch die Kleidung vom Vortag an. Wir haben den ganzen Tag miteinander verbracht. Da ist nicht auszuschließen, dass wir uns irgendwann beiläufig nahe gekommen sind.“
In Gedanken lasse ich besagten Tag an meinem inneren Auge nochmals vorüberziehen. Ich habe keine Kenntnis von DNA-Spuren, stelle mir aber vor, dass unsere kurze Umarmung ausgereicht hat, um entsprechende nachweisbare Spuren zu hinterlassen.
Ich teile Osterlo meine Gedanken mit. Daraufhin schaut er mich besorgt an.
„DNA-Spuren können eine Indizienkette begründen, stellen in meinen Augen aber kein Mordmotiv da. Für’s erste sollten wir Ruhe bewahren.“
„Sie machen Scherze, Herr Osterlo. Ich werde hier ohne Grund in einem stinkenden Loch festgehalten. Sorgen Sie bitte dafür, dass man mich umgehend wieder freilässt!“
„Ich fürchte, mein Einflussbereich geht nicht so weit. Immerhin ist der Fall nun offenkundig. Man wird Sie nun anders behandeln müssen. Gleichwohl wird Sie Ihre Ungeduld nicht weiterbringen.“
„Heißt das, dass man mit einem unbescholtenen Touristen alles machen kann?“
„Nicht alles, aber im Rahmen der Gesetze doch einiges. Es tut mir leid, Sie enttäuschen zu müssen. Ich werde Ihren Fall, dem Botschafter zu Gehör bringen. Er steht im Übrigen in ständigen Kontakt mit dem Außenministerium. Sie haben also keinen Grund, sich unnötige Sorgen zu machen.“
„Das heißt, man wird mich gegen meinen Willen weiter festhalten?!“
Osterlo zieht die Schultern hoch.
„Ich bitte Sie inständig, machen Sie nichts Unbedachtes und bestehen Sie auf meine Anwesenheit bei weiteren Verhören!“
Wortlos nicke ich. Die in Aussicht gestellte Begleitung ist ein kleiner Lichtblick.
„Ich werde dennoch versuchen, dass man Sie vorerst wieder auf freien Fuß setzt. Sie können ja sicher noch länger bei Álvaros Sohn unterkommen, so lange jedenfalls, bis sich die Dinge geklärt haben.“
Ich versuche, meine Ratlosigkeit nicht zu verbergen und schaue niedergeschlagen zu Boden. Osterlo verabschiedet sich und klopft mit einem Stift an die Gitterstäbe. Der metallene hohe Ton, lässt mich erneut zusammenschrecken.
Im Laufe der Nacht wird die Luft in der Gemeinschaftszelle immer schneidender. Es riecht nach Angst. Der bestialische Schweißgeruch hat sich längst mit dem beißenden Gestank nach Ammoniak vermengt. Mir stockt der Atem. Ich halte mir die Hände vors Gesicht. Einem würgenden Hustenreiz kann ich kaum widerstehen.
Ein Nachtwächter der besonderen Art begleitet uns durch die Nacht. Mindestens einmal in der Stunde taucht ein Polizeibeamter auf und lässt seinen Schlagstock über die Gitterstäbe fahren. Der hohe Ton lässt mich jedes Mal bis ins Mark erschaudern. Bin ich für kurze Zeit aus purer Erschöpfung eingenickt, so werde ich stets aufs Neue unsanft geweckt. Eine Form sanfter Folter, sage ich mir und dazu noch sehr effektiv. Selten in meinem Leben habe ich mir so sehr gewünscht, aus meinem Körper austreten und als Geist davonlaufen zu können. Kann Folter sanft sein? Dies frage ich mich später, als der Nachtwächter gerade wieder einmal seine Runde dreht.
Im Laufe des Vormittags werde ich unter Auflage freigelassen, den Ort nicht zu verlassen.