Ches Mütze XXIII

cropped-ches-mucc88tze-ii.jpg

Nach durchwachsenen Tage empfängt uns der neue Tag mit wolkenlosem Himmel und strahlendem Sonnenschein. Ich bin dabei einige Sachen für den Ausflug in meinen Rucksack zu deponieren, als Pacho im Türrahmen steht.
„Wie sieht es aus, bist du fertig zum Aufbruch? Der Tag verspricht vielversprechend zu werden.“
„Ich bin bereit und gespannt, wohin du mich führen wirst.“
Wir steigen in Pacho Wagen, einen alten Chevrolet, dem man ansieht, dass er seine besten Tage längst hinter sich hat.
„Keine Angst, mein Lieber, dieser Wagen ist zwar aus einer anderen Welt, wenn man in mit den heutigen Modellen vergleicht, aber er läuft verlässlich wie ein schweizer Uhrwerk und hat mich bisher nie im Stick gelassen.“
„Ich liebe diese alten Modelle, an den man noch selbst zum Schraubenschlüssel greifen kann. Ich erinnere mich gut an meinen ersten Wagen. Damals war es ganz und gar üblich, an seinem Auto herumzuschrauben. Ein Messgerät zum Einstellen der Zündung habe ich heute noch in irgendeiner Kiste im Keller aufbewahrt. Obwohl man heute damit nichts mehr anfangen kann, habe ich mich davon noch nicht trennen können.“
„Ein Grund, warum ich mich bisher standfest geweigert habe, mir eine automatisierte Plastikkugel zuzulegen. Bald werden wir nicht einmal mehr am Steuer sitzen.“
„Die Entwicklungen gehen dahin. So recht begeistern kann ich mich jedoch nicht dafür.“
Wir nehmen die Ausfallstraße in südöstliche Richtung und folgen der gut ausgebauten Nationalstraße Ruta 38 durch ein fruchtbares Tal. Schon bald geht es steil bergan. Fasziniert schaue ich aus dem Fenster und genieße die Weite einer einzigartigen Berglandschaft.
„Gefällt dir unser Land?“
„Es ist beeindruckend. Trotz der eher kargen Berghänge herrscht hier oben in dieser Höhe immer noch ein ziemlich üppige Vegetation.“
„Du müsstest hier in der Regenzeit sein, wenn alles zu Blühen beginnt. Es ist, als würde die Natur ihr schönstes Kleid überwerfen. Viele von uns machen am Wochenende Ausflugsfahrten, um diesem Schauspiel der Natur beizuwohnen. Wobei der Klimawandel auch vor uns nicht halt macht. Die Regenzeiten haben sich deutlich verschoben. Die Perioden sind kürzer geworden, bleiben in einigen Jahren fast ganz aus, oder verlagern sich in andere Zeiten des Jahres.“
Nach gut einer Stunde Fahrtzeit taucht vor uns ein kleiner malerischer Ort auf. Bienvenido en Pucará lese ich auf einem dem Holzschild. Darüber zwischen zwei weißen Sternen Ruta del Che.
Pacho parkt den Wagen im Schatten der Dorfkirche. Eine angenehm milde, fast warme Bergluft kommt uns entgegen, als wir aussteigen. Ich greife zu meiner Kappe, um meinen fast kahlen Kopf vor der Bergsonne zu schützen.
„Recht so“, nickt mir Pacho zu.
„Viele unterschätzen die Kraft der Sonne in dieser Höhe.“
Pacho lädt mich ein, ihm zu folgen.
„Ich kenne hier ein kleines nettes Café, vielleicht nicht das, was du von zu Hause gewohnt bist, aber der Kaffee ist wirklich genießbar.“
Wir durchqueren die kleine Plaza und nähern uns einer heruntergekommenen Hausfassade, vor der einige Sonnenschirme stehen und Plastiktische mit hellbauen Stühlen aufgestellt sind. Ich bin froh, Pacho als Ortskundigen bei mir zu haben. Ich hätte das Café nie als solches erkannt, noch hier Platz genommen.
Pacho erfasst meinen skeptischen Blick.
„Ich weiß, sieht nicht vertrauenerweckend aus. Aber warte ab!“
Der Duft von frisch aufgebrühtem Kaffee dringt an meine Nase und vertreibt schnell meine Bedenken. Dazu ist das leise Zischen eines Wasserdampfhahnes zu hören. Offensichtlich ist der Eigentümer im Besitz einer richtigen Kaffeemaschine.
„Willkommen Pacho!“, begrüßt uns eine Frau mit strahlendem Lächeln.
„Wie lange haben wir uns nicht gesehen? Wie geht es dir? Wir haben von den schrecklichen Ereignissen gehört. Mein herzliches Beileid zum Tode deines Vaters. Ich habe ihn sehr gemocht, auch wenn andere ihn gemieden haben.“
„Danke Acacia. Ich freue mich auch, wieder mal hier zu sein. Darf ich dir Clemens, meine Begleitung vorstellen. Er gehört zu den letzten, die Vater gesehen haben. Der Buschfunk scheint ja mal wieder gut zu funktionieren. Es ist unfassbar. An eine Beerdigung ist vorerst nicht zu denken. Der Leichnam ist von der Gerichtsmedizin noch nicht freigegeben worden. Kann sicher noch Tage dauern.“
„Darf ich euch erst einmal einen kleinen Schwarzen bringen.“
„Kleinen Schwarzen?“, frage ich.
„Ja, so nennen wir ihn bei uns, einen kleinen kräftigen Mocca, der es wirklich in sich hat. Der erste geht aufs Haus.“
„Ich bin gespannt“, sage ich mit einem Schmunzeln, als Acacia wieder im Café verschwunden ist.
Nach kurzer Zeit reicht sie uns beiden die kleinen Schwarzen. Ich koste und bin beeindruckt.
„Der schmeckt ausgezeichnet. Eine gute Mischung aus einem leicht herben Aroma mit einem nussig fruchtigen Geschmack.“
„Da spricht der Kenner. Ich kann dir nur zustimmen, eine wirklich besondere Bohne, gerade richtig geröstet.“
„Ich glaube, ich nehme noch einen.“
Als Acacia uns den zweiten Kaffee bringt, setzt sie sich zu uns.
„Ist es wahr, was erzählt wird? Deinem Vater wurden beiden Hände abgeschnitten.“
Ein kaum merkliches Zucken geht durch Pacho Körper.
„So ist es. Ich habe keine Erklärung für diese bestialische Tat. Auch wenn alle längst zu wissen glaubt, was geschehen ist.“
„Ich verstehe nicht“, erwidert Acacia mit ehrlichem Erstaunen.
„Nun, du erinnerst dich doch sicher noch an die Ermordung Ches. Ihm wurden nach seiner Verhaftung und Ermordung beide Hände abgeschnitten. Die Parallelität der Ereignisse hat alte Gerüchte wieder zum Leben erweckt.“
„Du glaubst…?“
„Ich kann es dir nicht sagen“, unterbricht Pacho. Wieder wird er von einem inneren Zucken erfasst. Für den Bruchteil einer Sekunde blicke ich in ein schmerzverzerrtes Gesicht.
„Es ist absurd. Selbst, wenn es eine Anspielung auf vergangene Ereignisse wäre, kann doch keiner erklären, was es mit dem Mord an meinem Vater auf sich hat. Oder glaubst du auch an die alten Gerüchte?“
„Was meinst du?“
„Das mein Vater nicht mein Vater ist.“
„Und das Che dein wirklicher Vater sein soll?“
Acacia schüttelt vehement den Kopf.
„Ich habe nie etwas darauf gegeben. Ihr beide, dein Vater und du, ward euch so ähnlich. Nein, ich kann es mir nicht vorstellen.“
Pacho lässt den Kopf sinken. Alles scheint ihn mehr mitzunehmen, als er bislang selbst wahrhaben wollte. Acacia Hand streichelt sanft über seinen Kopf.
„Mein Herz. Wer tut nur so etwas? Und warum? Kommt unser Land nie zur Ruhe und kann die alten Zeiten endlich hinter sich lassen?“
„Vielleicht steht es mir nicht zu“, schalte ich mich ein.
„Aber könnte es nicht sein, dass alles nur eine perfekte Inszenierung ist?! Wie, wenn jemand nur die wirklichen Spuren verwischen möchte.“
Acacia schaut mich fragend an.
„Es heißt auch, dass Sie unter Verdacht stehen.“
„Ja, weil ich einer der letzten war, der mit Álvaro zusammen war. Mir hat man schon ein DNA-Probe abgenommen.“
„Ganz schön heikle die Situation für Sie.“
Ich nickt stumm. Plötzlich steigt eine Hitze in mir auf, die mir fast den Atem nimmt. Mit einem Mal durchfährt mich ein furchtbarer Gedanke und ich erfasse zum ersten Mal den vollen Ernst meiner Lage. Was, wenn das Unfassbare Wirklichkeit wird? Werde ich mich schon bald auf der Anklagebank vorfinden? Welche Chance auf Verteidigung habe ich, wenn die Indizien immer erdrückender für mich werden.
Mir wird schwarz vor Augen.