Ches Mütze XXIX

cropped-ches-mucc88tze-ii.jpg

„Wie nicht anders zu erwarten war, hat man Spuren ihrer DNA auf Álvaros Kleidung gefunden.“
Der Glatzköpfige kann seine Freude über das Ergebnis der Untersuchung kaum verbergen.
„Ich habe Ihnen doch schon erklärt, dass Álvaro und ich uns an dem Abend vor seinem Tod umarmt haben. Da war nicht mehr. Hören Sie endlich damit auf, mich zu bezichtigen.“
Ich bin verärgert über die erneuten Anschuldigungen, sehe aber schnell ein, dass es besser ist Ruhe zu bewahren.
„Ganz ruhig, mein Lieber“, sagt der Glatzköpfige mit provozierendem Unterton.
„Ich bin nicht Ihr Lieber. Und im Übrigen bitte ich darum, mit der Botschaft sprechen zu können. Wie es scheint, werde ich Ihre unbändigen Tatendrang nicht anders bremsen können.“
Der Glatzköpfige springt auf. Sein Stuhl fällt mit einem lauten Krachen zu Boden. Ich weiche innerlich zurück als er sich über den Vernehmungstisch vorbeugt und halte den Atem an.
„Du wirst schon noch deine üble Tat gestehen.“
Endlose Sekunden folgen, in denen ich mir nicht mehr wünsche, als dass der Glatzköpfige sich in Luft auflöst. Als er zurückfährt und nach dem am Boden liegenden Stuhl greift, kann ich endlich aufatmen.
„Sie haben sich auf den falschen Täter eingeschossen. Wie wäre es, wenn Sie in Erwägung ziehen würden, dass Sie sich geirrt haben?“
„Erklären Sie mir nicht, wie ich meine Arbeit zu machen habe.“
„Das liegt mir fern. Ich halte Sie für einen sehr kompetente Polizeibeamten.“
Ich kann sehen, wie meine Worte den Glatzköpfigen schmeicheln. Er streicht sich eine fettige Haarsträhne aus dem Gesicht und wirft dabei lässig seinen Kopf nach hinten.
„Aber auch der Kompetenteste kann sich einmal irren.“
Wieder springt er auf. Ich hebe beschwichtigend die Arme.
„Entschuldigen Sie bitte! Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten.“
„Schluss jetzt mit den Spielchen. Haben Sie noch etwas zu sagen? Ansonsten geht’s aufs Zimmer.“
Der Glatzköpfige lacht auf.
„Die Kakerlaken werden Ihnen in unserer Fünfsternzelle gerne Gesellschaft leisten. Sie dürfen heute die Vorzüge einer Einzelzelle genießen. Die Gäste werden die gleichen sein.“
Ich schüttle den Kopf. Vorerst gebe ich mich geschlagen. Beim Gedanken an meine letzte Nacht in der Zelle und die ekligen Mitbewohner muss ich spontan an ein altes Volkslied denken. Ich kann nicht anders, als den Refrain aus mir herauszuprusten.
„La cucaracha, la cucaracha, ya no puede caminar.“
Weiter komme ich nicht. Der Glatzköpfige hat sich vor mir aufgebaut. Ich befürchte, dass er jeden Moment die Beherrschung verliert. Erstaunlicherweise bleibt er ruhig. Ein fester Handgriff in die Schulter gibt mir erneut zu verstehen, wer der Chef im Ring ist.
„Führ ihn ab!“, befiehlt er dem Milden.
„Soll er doch den Kakerlaken seine Gesangeskunst zum besten geben.“

In der Nacht mache ich kein Auge zu. Unablässig bin ich auf der Jagd nach den unliebsamen Mitbewohnern. Erfolglos. Nur das Schaben über den Zellenboden ist zu hören. Erst gegen Morgen falle ich erschöpft in den Schlaf.

„Aufstehen!“
Ich werde von dem unsanften Aufschrei des Glatzköpfigen geweckt, der mit seinem Schlagstock einen ohrenbetäubenden Lärm auf den Gitterstäben meiner Zelle macht. Dunkel erahne ich die Melodie, die er mit seinen Schlägen anzudeuten versucht.
„Na wie war die Nacht? Hast du die Bekanntschaft mit unseren niedlichen Haustieren genießen können.“
Ich ignoriere seine Frage. Der Glatzköpfige kann sich ein Kichern nicht verkneifen.
„Nun wird’s bald. Du hast Besuch. Dein Wunsch war uns Befehl. Jemand von der Botschaft ist gekommen. Aber versprich dir nicht all zu viel davon.“
Ich folge ihm in das Verhörzimmer. Dort lässt er mich mit einer mir unbekannten Person zurück.
„Mein Name ich Karlo Wagner. Ich bin damit beauftragt worden, Sie zu verteidigen.“
„Ich dachte…“
„Entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche. Hans Osterlo ist auf Reisen. Er hat mich gebeten, Sie zu vertreten. Ich betreue regelmäßig Ihre Landleute bei Rechtsangelegenheiten in diesem Land.“
Reichlich jung, stelle ich fest. Insgeheim hoffe ich, das Wagner dennoch über die nötige Erfahrung verfügt, um sich gegen die Machenschaften eines Provinzpolizisten und die haltlosen Anschuldigungen zur Wehr zu setzen.
„Darf ich zusammenfassen, wie sich gegenwärtig die Faktenlage darstellt.“
„Fakten?! Wenn Sie mir so kommen, können Sie gleich wieder gehen.“
Wagner verzieht verlegen das Gesicht.
„Entschuldigen Sie!“
Nun bin ich es, der ihn unterbricht.
„Hören Sie auf sich ständig zu entschuldigen. Vielleicht fasse ich für Sie den vermeintlichen Sachstand zusammen. Tatsache ist, dass Álvaro bestialisch ermordet worden ist. Ich kannte ihn seit einigen Tage und ich kann sagen, dass er mir in der Kürze der Zeit zum Freund geworden war. Die näheren Umstände seines Todes wissen Sie. Im Zusammenhang seiner Ermordung soll es einen Zeugen geben, der mich kurz vor dem errechneten Todeszeitpunkt gesehen haben will. Dies kann nur auf der Veranda des Hauses gewesen sein, auf der wir am Abend lange saßen. Darüber hinaus hat eine DNA-Untersuchung ergeben, dass Spuren von mir auf der Kleidung Álvaros zu finden sind. Das wiederum ist nicht verwunderlich, da wir uns am Tage seiner Ermordung umarmt haben. Also erklären Sie mir bitte, warum man mich bei dieser dürftigen Indizienlage wiederholt festhält. Und im Übrigen, welches Motiv wird mir vorgeworfen? Dazu habe ich bislang nichts gehört.“
„Zur Motivlage kann ich Ihnen nichts sagen. Darüber ist auch mit mir nicht gesprochen worden.“
„Was gedenken Sie zu tun?“
„Zunächst werden wir versuchen, Sie durch Kaution auf freien Fuß zu bekommen. Ein entsprechender Antrag bei der Staatsanwaltschaft läuft schon.“
„Und was gedenken Sie für meine Entlastung zu tun?“
„Zunächst muss ich mir ein Bild über die protokollierte Aktenlage machen. Gespräche mit dem Sohn des Ermordeten und Personen aus der unmittelbaren Umgebung des Opfers werden hilfreich sein. Ich denke, dass ich Ihnen dazu mehr in einigen Tagen sagen kann.“
„In einen Tagen?! Solange soll ich in diesem Drecksloch hausen?“
„Wie gesagt, der Kautionsantrag ist gestellt. Ich gehe davon aus, das der Staatsanwalt noch im Verlauf des Tages darüber befinden wird.“
Ich schaue Wagner ratlos an.
„Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?“
„War das schon alles?!
Ich kann nicht glauben, dass sich dieser Jungspund schon wieder davonstehlen will. Meine Zweifel, ob er der Richtige für meine Verteidigung ist, vergrößern sich.
„Wenn Sie mit Álvaros Sohn sprechen, bitten Sie ihn, mich zu besuchen. Ohne moralische Unterstützung werde ich mich sonst an den Gitterstäben erhängen.“
Wagner schaut mich entgeistert an.
„Nur ein Scherz“, winke ich ab.
„Sie sind aber leicht zu verunsichern. Glauben Sie wirklich ich sei suizidgefährdet, nur weil diese übel riechende Kreatur von Provinzsheriff nichts unterlässt, um mir meinen Aufenthalt hier zur Hölle zu machen? Aber um Sie muss ich mir wohl Gedanken machen.“
Ohne ein weiteres Wort verlässt Wagner fluchtartig den Raum. An seiner Körperhaltung kann ich sehen, wie sehr ihn das Gespräch mitgenommen hat.