Ches Mütze XXXIII

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Die Nacht will kein Ende nehmen. Ich kann den nächsten Morgen nicht erwarten. Lange liege ich wach und betrachte das Schattenspiel der Gitterstäbe an meiner Zellenwand. Vergeblich bitte ich die Nachtwache, das Licht im Gang zu löschen. Selbst meine Versicherung, ich wolle einfach nur besser schlafen können, bleibt ohne Erfolg.
Irgendwann muss ich doch tief und fest eingeschlafen sein. Als ich geweckt vom Glatzköpfigen noch schlaftrunken zu ihm aufschaue, steht er direkt vor meiner Pritsche.
„Aufstehen!“
Innerlich verärgert bleibe ich betont freundlich.
„Guten Morgen mein Herr. Ich hoffe, Sie haben eine ähnlich gute Nacht verbracht. Ich bin immer wieder erstaunt, wie gut sich auf diesem einfachen Bettlager nächtigen lässt. Vielleicht können Sie mir bei Gelegenheit sagen, wo ich derlei käuflich erwerben kann.“
Zum ersten Mal, seit ich dem Glatzköpfigen begegnet bin, bildet sich der Anflug eines Lächelns in seinen Mundwinkeln.
„Ich werde mich gerne danach erkundigen. Darf ich Sie bitten mir zu folgen.“
„Nur zu gern. Selbst die kleinen Spaziergänge in das Verhörzimmer sind ja mittlerweile zu einem ersehnten Ausflugziel geworden. Das eine oder andere Bild an den Wänden könnte sie zu unvergässlichen Augenblicken machen.“
Der Glatzköpfige lacht auf.
„Eines muss man Ihnen lassen, Sie haben Charakter. So schnell sind Sie nicht unterzukriegen. Hochachtung! Verzeihen Sie meinen manchmal groben Ton. Wie haben hier mit allerlei krummen Persönlichkeiten zu tun. Was glauben Sie, was wir uns bisweilen bieten lassen müssen!?“
Etwas in mir rät mir zur Zurückhaltung. Wer weiß, welches Register der Glatzköpfige gerade zieht. Wahrscheinlich nur eine seiner unzähligen Maschen.
„Sie halten mich für berechnend und durchtrieben? Geben Sie es ruhig zu! Im Laufe der Jahre lernt man zu schauspielern. Es ist oft die einzige Möglichkeit, einem Verdächtigen für uns wichtige Hinweise zu entlocken.“
Wir betreten das Verhörzimmer und nehmen Platz. Der Glatzköpfige nickt dem bereits sitzenden Milden zu. Dieser schaltet darauf das Diktiergerät ein.
„Wir können das hier weitere Fragenrunden abkürzen. Wir sind an einem Punkt unserer Ermittlungen angekommen, wo wir Sie ins Vertrauen ziehen werden.“
Ich kann nicht glauben, was ich gerade höre.
„Sie wollen mich ins Vertrauen ziehen?! Sie müssen sich irren.“
„Ganz und gar nicht. Offenbar waren wir beide in unseren Rollen glaubhaft.“
Der Glatzköpfige nickt dem Milden vielsagend zu.
„Ich verstehe nicht!“
„Nun, im Grunde haben wir uns das kursierende Gerücht um Ihre Person zu eigen gemacht. Wir sind nie von einer Verwicklung ihrerseits in den Mordfall ausgegangen. Wir müssen uns in aller Form für alle Unannehmlichkeiten entschuldigen, die Ihnen seit einigen Tagen durch uns entstanden sind. Aber Sie haben es offensichtlich mit Humor nehmen können. Übrigens sollen wir Sie von Che, Fidel und Tamara grüßen. Sie haben uns letzte Nacht verlassen und sind auf ihrem unermüdlichen Kampf zur Befreiung aller Kakerlaken weitergezogen.“
Spontan muss ich auflachen. Wie nur weiß der Glatzköpfige von meinen Zellengenossen. Vermutlich haben sie meine Selbstgespräche belauscht. Ohne eine weitere Reaktion meinerseits abzuwarten, ergreift der Glatzköpfige sogleich wieder das Wort.
„Bis wir den Hauptverdächtigen überführt haben, bitten wir Sie darum, die Rolle als vermeintlich Angeklagter weiter zu spielen. Als Entschädigung darf ich Ihnen heute Morgen ein reichhaltiges Frühstück mit einer guten Tasse Kaffee versprechen. Vorab sei es Ihnen gestattet, sich in unserer an nichts fehlenden Sanitäranlage frisch zu machen. Pacho wird Ihnen in Kürze frische Sache bringen. Er ist in unser Vorgehen eingeweiht und hat seine Rolle bisher wie Sie prächtig wahrgenommen. Sie beide sind wirklich begabte Schauspieler. Ich kenne da jemand…“
Ich unterbreche ihn.
„Nun lassen Sie’s gut sein. Es freut mich zu hören, dass ich als Verdächtiger bei Ihnen nicht mehr im Kurs bin. Ich kann nur wirklich hoffen, dass dieses unerfreuliche Intermezzo bald ein Ende nimmt. Ich habe mir meinen Urlaub wirklich anders vorgestellt.“
„Haben wir Ihnen nicht etwas Einzigartiges geboten?!“
Mein Kopf hin und her wiegend kann ich mich eines Schmunzeln nicht erwehren. Die an Albernheit grenzenden Kommunikation hat etwas Befreiendes. Die Anspannung der letzten Tage beginnt sich zu lösen.
„Und das alles ganz ohne Aufpreis. Wer kann von sich sagen, Hauptdarsteller in einer Kriminalgeschichte gewesen zu sein.“
„Sie ist ja noch nicht zu Ende.“
„So gut wie. Wie gehen davon aus, den Fall am Vormittag abschließen und Sie wieder auf freien Fuß lassen zu können.“
„Ich werde Sie daran erinnern.“
„Pablo, zeig dem Herrn die Dusche!“
Der Milde springt auf und führt mich aus dem Verhörzimmer. Ich folge ihm. Im Rausgehen drehe ich mich ungläubig über die unerhoffte Wendung nochmals um. Der Glatzköpfige zwinkert mir zu.
„Mein Name ist im Übrigen Colombo. Sie kennen mich doch, ich war früher der Kommisar mit dem Klitschauge. Sagen Sie, Sie hätten nie einer Folge meiner grandiosen Fälle im Fernsehen verfolgt?! Mittlerweile lasse ich es hier etwas ruhiger angehen.“
Ich bleibe stehen. Der Glatzköpfige streckt mir seine Rechte entgegen. Ich mache einen Schritt auf ihn zu und ergreife Sie.
„Angenehm, Sie kennengelernt zu haben. Ich heiße Augusto.“
„Ganz meinerseits. Meinen Namen kennen Sie ja schon.“
Schon draußen höre eine Stimme hinter mir herrufen:
„Augusto. Sie erinnern sich sicher?! Ich war einst der Herrscher eines großen Reiches.“
„An Selbstbewusstsein mangelt es Ihrem verehrten Kollegen wohl nicht?!“
„Sie sagen es. Augusto ist jedoch nicht nur für seine Worte bis in die Hauptstadt berüchtigt. Für einen jeden seiner Kollegen würde er alles geben. Wir können uns keinen besseren Chef wünschen. Da erträgt man schon mal den einen oder anderen Spruch.“

Nach dem Duschen finde ich im Ankleideraum bereits ein Bündel mit frischer Wäsche vor. Voller Vorfreude auf das versprochene Frühstück kehre ich begleitet vom Milden in meine Zelle zurück.
Zu meinem Erstaunen sitzen Che, Fidel und Tamara auf meiner Bettekante. Es ist Che, der das Wort ergreift:
„Wir können uns doch nicht davonmachen, ohne uns von dir verabschiedet zu haben.“