Wie geht es dir? Besser. Was macht die Hitze in deinem Körper? Hat sich beruhigt. Du schaust mich so verwundert an, Frida! Es ist nur, ich frage mich seit gestern, ob Sie meine Therapeutin oder meine Ärztin sind. Entschuldige, ich hätte mich besser vorstellen sollen. Ich bin Ärztin, spezialisiert im Fach Psychiatrie. Aber was für dich zu wissen noch wichtiger ist, anders als manche hier. Ich unterbreche. Dieser Wittig. Ja, Dr. Wittig und andere. Also anders als sie betrachte ich Körper und Psyche als Einheit. Ein gesunder Geist, lebt in einem gesunden Körper. Richtig. Genau, so sehe ich das. Und darum ist für mich all das, was dein Körper mir zeigt wichtig. Hinzukommt, ich habe vor Jahren während einer beruflichen Auszeit einige Zeit in China verbracht und mich dort mich in der Traditionelle Chinesischen Medizin fortgebildet. Xian-mai, du erinnert dich? Flüchtig. Ich dachte schon, Sie kommen mir irgend so einem Voodozauber. Da kann ich dich beruhigen. Ich denke, für den Anfang reicht das über mich. Trotzdem darfst du mich jederzeit mit deinen Fragen löchern. Sie geben keine Pillen? Richtig, diese schließe ich bei meinen Behandlungsmethoden weitestgehend aus. Nicht völlig, aber ich vertraue zunächst auf die Wirkung diverser Heilkräuter und der Selbstheilungkräfte. Also doch Voodoo? Ich glaube, du verwechselst da etwas. Ich will es nochmals anders sagen. Das, was zu Disharmonien in einem Körper führt und gleichzeitig psychische Probleme nach sich zieht, kann oft durch eine hilfreiche Therapie und sanfte Mittel, wie Heiltees behandelt werden. Ich nehme deine körperlichen Signale wahr, will aber den größeren Zusammenhang erfassen. Das gleiche gilt für dein Schwarz. Schwarz? Ja, du redest doch gerne von Farben. Und Schwarz scheint eine besondere Bedeutung zu haben. Ich verdrehe die Augen. Was kommt gerade bei dir hoch? Schwarz … Es war alles dunkel um mich, bevor ich springen wollte. Kennen Sie das? Tage, wo selbst der grellste Sonnenschein kein Licht in ihr Leben bringen kann. Sie nickt. Alles kam so plötzlich. Gerade war noch alles in Ordnung. Dann machte es klick. Nichts als Schwarz. Wenn es möglich ist, würde ich gerne nochmals auf unser kurzes Gespräch vorhin bei dir am Bett zurückkommen. Kannst du mir etwas von deinem Notizbuch erzählen? Wagen Sie ja nicht … Frida, du musst keine Angst haben. Wir achten die Privatsphäre hier sehr. Keiner wird da hineinschauen, wenn du es nicht willst. Es ist mein Heiligtum. Kein Tagebuch. Ein Ort, wo ich das festhalte, was mir wichtig ist. Gefühle, Gedanken. Meine und die von anderen. Und darin hast du heute Morgen geblättert? Ja. Aber beim Lesen habe ich weniger auf die Worte geachtet, die ich gelesen habe. Ich musste daran denken, wie ich meine Mutter dabei erwischt habe, wie sie in meinen Aufzeichnungen gestöbert hat. Und dabei ist dein Ärger von damals erneut hochgekommen. Nein. Auch. Aber mehr das Gespräch mit meiner Mutter. Ich habe ihr damals vorgehalten, sie suche in meinem Notizbuch nach Indizien. Indizien? Rot. Eine unerträgliche Hitze steigt in mir hoch. Ein Druck in der Brust. Meine Schläfen beginnen zu pochen. Ich schließe meine Augen. Der Druck in ihnen steigt an und wird unerträglich. Mir wird übel. Frida, hörst du mich? Ich hebe und senke zaghaft meinen Kopf. Richte dich auf! Atme tief in deinen Brustkorb! Spüre wie er sich weitet! Achte auf deine Füße! Sie stehen ganz fest und sicher auf dem Boden. Sie geben dir Halt. Der Druck in der Brust geht zurück. Das Pochen schwindet. Ich bin hier. Ich werde dich begleiten. Ich versuche zu lächeln. Trink einen Schluck. Sie reicht mir meine Tasse. Der warme Tee schmeckt etwas bitter. Er entfaltet bereits beim Schlucken eine wohlige Wirkung. Die Übelkeit weicht ganz. Es tut mir leid. Ich weiß auch nicht, was gerade los ist. Und wenn ich ehrlich bin, macht es mir etwas Angst. Ihnen offensichtlich nicht?! Dein Körper zeigt im Augenblick keine bedrohlichen Symptome. Du wirst im Laufe der Zeit lernen, die Sprache deines Körpers besser zu verstehen. Es ist wie in einer Beziehung. Wenn man nicht mehr miteinander reden kann, dann stimmt etwas nicht. Also freu dich, wenn dein Körper mit dir redet. Ihre Worte haben etwas Beruhigendes. Sie machen mich gleichzeitig neugierig. Ich will mehr über die Sprache des Körpers erfahren. Und was hat mein Körper gerade gesagt? Eines ganz sicher. Es gibt etwas, einen Teil deiner Vergangenheit, einen wahrscheinlich sehr unangenehmen Teil. Du hast die Farbe Rot genannt und von Erinnerungen, ausgelöst durch das Blättern in deinem Notizbuch gesprochen, einem Streitgespräch mit deiner Mutter. Kommt sonst noch etwas in dir hoch? Heute Morgen hat mir Brunhild berichtet, dass du wild mit den Armen um dich geschlagen und dabei mit den Füßen getreten hast. Rot. Wollen Sie mich quälen. Ganz und gar nicht. Ich will dir helfen. Steh auf! Atme nochmals bewusst tief ein und aus! Spüre deine Füße, wie sie fest auf dem Boden stehen. Rot. Ich beginne zu zittern. Rot. Was für ein Bild zeigt sich? Ich sehe eine Gestalt, wie sie sich über mich beugt. Es ist dunkel. Ich kann sie kaum erkennen. Ich liege im Bett. Nein! Ich will das nicht. Was willst du nicht? Dieser Gestank nach Alkohol. Ich wende mich ab. Hände kommen mir näher. Eine hält meinen Mund zu. Die andere berührt meine Brust. Ich winde mich. Dieser fürchterliche Gestank nach Alkohol vermischt sich mich beißendem Schweiß. Die Hände sind feucht. Ich beginne mit den Armen und Beinen zu strampeln. Will mich befreien. Ich schaffe es nicht. Er ist stärker als ich. Ich höre ein Pscht! Ich versuche, in seine Hand zu beißen. Auch das gelingt mir nicht. Panik steigt in mir auf. Innerlich rufe ich „Maaaaaama!“ Warum hört mich keiner? Meine Kräfte schwinden. Ich verliere das Bewusstsein. Atme weiter tief ein und aus. Rot. Als ich wieder wach werde, bin ich alleine in meinem Zimmer. Ich spüre etwas Feuchtes zwischen meinen Beinen. Mir wird übel und ich renne auf die Toilette. Dort muss ich mich gleich übergeben. Keiner nimmt Kenntnis davon. Es ist mitten in der Nacht und alles schlafen. Du hast Gewalt erfahren. Ich schüttle mich vor Ekel. Wie kann das sein? Wo warst du gerade? Zuhause. Wer war noch da. Weiß ich nicht? Ich beginne zu weinen. Das, was du damals erlebt hast, ist immer noch so schlimm für dich, dass du es nicht klar sehen kannst. Nicht ganz. Ich habe diese Nacht sicher verdrängt. Aber irgendwann habe ich in einem Gespräch zwischen meinen Eltern eine seltsame Bemerkung aufgeschnappt. „Mach das nie wieder, oder ich zeige dich an!“ Wer hat das gesagt? Meine Mutter zu meinem Vater. Ich habe wochenlang darüber nachgedacht, was meine Mutter damit gemeint haben könnte. Meine beste Freundin Anna meinte, als ich ihr davon erzählte, „Dein Vater hat dich … na, du weißt schon.“ Aber so wenig wie sie es aussprechen konnte, so konnte ich es später glauben. Mein Vater war doch mein … Ich stocke. Kann nicht mehr aussprechen, was mir sonst so selbstverständlich über die Lippen kam. Er hat mich missbraucht. Wirklich? War er es, oder legt sich mein krankes Hirn gerade nur etwas zurecht. Dieses Schwein hat mich missbraucht. Ich sacke zusammen und weine. Frau Doktor kniet neben mir und hält mich fest. Betäubt vom Schmerz steigt irgendwann ein anderer Gedanke auf. Frau Doktor, vor einigen Tagen habe ich mich mit einer Arbeitskollegin getroffen. Sie wollte mich dringend sprechen, wollte meinen Rat. Ihr Mann habe sie vergewaltigt. Innerlich schüttle ich den Kopf. Kann es sein, frage ich zaghaft, dass das Gespräch mit meiner Kollegin eine alte Wunde aufgerissen hat. Frau Doktor drückt mich sanft. Ich nehme dies als Zustimmung. Und nun bist du an einem sicheren Ort und kannst der Vergangenheit ins Angesicht schauen. Für heute reicht es. Du bist sehr mutig gewesen. Lass uns noch einen Gang durch den Park machen! Frische Luft und vor allem Bewegung wird dir guttun.