Tanzendes Indigo XXV

Tanzendes Indigo

Er war wieder da? Wer? Merlin. Nennen Sie ihn nicht so! Der Name verharmlost seine Existenz. Ich würde ihn Dämon nennen. Also gut. Hat sich dein Dämon wieder deiner bemächtigt? Warum fragen Sie? Mir ist zu Ohren gekommen, dass erneut Einiges zu Bruch gegangen ist. Ich habe mich einigermaßen beherrschen können. Aber lassen Sie uns von etwas Anderem reden! Wie du wünschst. Ich höre. Was hast du mir zu berichten? Bevor er kam. Wer? Der Dämon. Entschuldige, ich sollte erst einmal hinhören. Ich werde dich nicht mehr unterbrechen. Ich nicke. Ich hatte einen ziemlich üblen Traum. Frau Doktor sieht mich fragend an, verkneift sich nun aber jede weitere Kommentierung. Seltsam und gleichzeitig bedrohlich. In meiner Wohnung hatten sich allerlei Personen versammelt. Er war da. Ich hatte gleich ein ungutes Gefühl. Leider konnte ich ihn nicht erkennen. Ich bin so sehr die steten kleinen Bemerkungen von Frau Doktor gewohnt, dass es mich irritiert, dass sie fast teilnahmslos vor mir sitzt. Sie hat ihre Beine übereinandergeschlagen. Unter ihrer hellen Strumpfhose zeigen sich ihre blassen Beine ab. Ihre kantigen Knie ragen wie Felsen hervor. Er war da! Pause. Er war da! Pause. Wer ist es nur? Ich habe mit ihm getanzt. Warum nur? Er war deutlich älter als ich. Pause. Wer war es? Glauben Sie, dass der Körper Erinnerungen so festhalten kann, dass man selbst nach Jahren irgendwann klar sehen kann, was einem einst widerfahren ist? Keine Antwort. So sagen Sie schon. Keine Antwort. Rot. Ich springe auf. Mache einen Schritt auf sie zu. Beuge mich zu ihr herunter und nähere mich ihrem Gesicht. Sie weicht mir aus. Ich drehe mich um. Beginne wie ein Tier im Käfig auf und ab zu gehen. Ich bin hier. In Gedanken jedoch ganz woanders. Was ist wirklich, wenn mein Geist dem Sein enteilt? Ich kann nicht ganz hier sein. Etwas hält mich zurück. Unablässig spiele ich den gleichen Lauf einer Melodie. Mal schlage ich die Tasten sanfter an. Mal haue ich so fest auf sie ein, dass mir die Finger schmerzen. Es muss doch ein Hinauskommen geben. Frau Doktor, ich kann nicht mehr. Meine Finger sind wund. Bald wird. Bald wird. Bald wird. Was? Ich schreie es aus mir heraus. Ich kann wirklich nicht mehr. Bin ich auf ewig verdammt, mich unablässig im Kreis zu drehen? Was frage ich noch. Es ist längst entschieden. Kapituliere! Du? Ich dachte, es ist jetzt der Augenblick gekommen, deine Kapitulation an das Leben zu besiegeln. Niemals. Zier dich nicht länger. So lange nur eine Zelle existiert, wirst du vergeblich darum bitten. Der Tod, erst dieser mag mir die letzte Hoffnung nehmen. Ich atme noch. Siehst du? Ich reiße den Mund weit auf und hole tief Luft. Beim Ausatmen vibrieren meine Lippen. Ich spüre ein leichtes Kitzeln. Lass den Unsinn! Kapituliere! So weit wird es nicht kommen. Wenn ich sagen kann, was ich denke und fühle, gar geträumt habe, dann lebe ich noch. Frau Doktor lächelt mir zu. Jedoch wenn ich lebe, dann kann ich mich nicht stetig im Kreis drehen. Denn dies hieße Stillstand. Dies käme meinem Tod gleich. Bei allem Wiederkehrenden gibt es etwas, was anders ist. Nur einen Ton. Dieser vermag, mich aus aller Routine herauszuholen. Schlage ich ihn an? Oder wird er angeschlagen? Geht der Druck auf die Taste dem Hören voran? Oder ereilt mich der Ton? Ich möchte nicht länger warten. Indigo. Jede Melodie fängt mit einem Ton an. Er wird sich, solange bis der Nächste dazukommt, wiederholen. Ich bleibe in Bewegung. Darauf kommt es an. Frau Doktor, kann es sein, dass nicht ich mich im Kreise drehe, sondern mir meine Erinnerungen das Gefühl vermitteln, alles würde sich im Kreis drehen? Wenn ich warte, steige ich auf das Karussell meiner Erinnerungen, auch der finsteren. Wenn ich selbst spiele, bewege ich mich fort von meiner Vergangenheit. Begleiten sie mich?! Sie nickt. Wir verlassen ihr Zimmer. Im Garten kommt uns ein eisiger Wind entgegen. Kurz überlege ich, wieder umzukehren. Voran!, hält etwas mich an. Wir nehmen einen mir unbekannten Weg und landen nach einigen Minuten auf einer Lichtung. Sackgasse. Ich umkreise einige Male die Lichtung. Dann schlage ich mir eine Schneise in das dichte Unterholz. In der Ferne lockt mich ein schwacher Lichtschimmer an. Ich gelange auf eine weitere Lichtung. Erstaunt erblicke ich Frau Doktor. Ich sehe mich irritiert um. Ich bin schon länger hier. Aber. Du zweifelst. Ich schüttle den Kopf. Doch, wenn ich ehrlich bin. Es ist gut, dass du nun hier bist. Und wie geht es weiter? Das kann ich dir nicht sagen, du musst es selbst herausfinden! Frida! Ich möchte mich von dir verabschieden. Die Stunde ist um. Wie? Wo bin ich? Immer noch dort, wo du warst, als du zu mir gekommen bist. Nicht ganz. Denn innerlich scheinst du eine interessante Reise gemacht zu haben. Ich bin fassungslos. Was ist mit dir? Wie kann ich nur? Womit haderst du? Ich war der festen Überzeugung, wir beide hätten einen gemeinsamen Spaziergang durch den Wald gemacht. Ich muss dich enttäuschen. Du bist hier bei mir auf und ab gegangen. Ich habe dich gewähren lassen. Du warst unruhig. Wie in Trance. Habe Geduld mit dir! Ich kann es dir nur immer wieder ans Herz legen. Nun entschuldige mich! Ich muss zur Visite. Enttäuscht sehe ich ihr nach. Ich weiß mal wieder nicht wo hin mit mir. Meinem inneren Impuls nach Bewegung will ich nachkommen. Im Garten erwartet mich der gleiche eisige Wind. Nun ist es ganz um mich geschehen. Mir kommen die Tränen. Heftig schluchzend nehme ich auf einer Parkbank am Rande des Gartens Platz.