Tanzendes Indigo XXVI

Tanzendes Indigo

Ich versinke in glitschigem Grün. Bitterer Schaum fließt mir aus den Mundwinkeln. Mit der Hand wische ich mir den Sabber ab. Ich bin am Ende. Angewidert von mir selbst, beginne ich zu würgen. Tiefer geht es nicht. Bist du sicher? Ich antworte nicht. Ich bin mir selbst so uneins geworden. Was ich fühle oder denke, ist nicht fassbar. Ich strecke mich danach. Will es greifen. Festhalten. Noch scheint es ein Teil von mir zu sein. Ruckhaft fahre ich zurück. Unsanft schlage ich dabei auf dem Metallrahmen meines Bettes auf. Instinktiv greife ich an meinen Hinterkopf. Keine Wunde. Ein pochender Schmerz betäubt mir alle Sinne. Langsam komme ich wieder zu mir. Ich richte mich auf. Immer noch benommen gehe ich ins Bad und spüle mir den Mund aus. Im Spiegel schaut mir ein entgeistertes Gesicht entgegen. Es hat kaum noch Ähnlichkeit mit dem Bild, das ich von mir selbst habe. Wer ist das? Du. Nein, das bin nicht ich. Wer sonst? Frag mich nicht. Ich kenne diese Person nicht. Du meinst, sie ist dir fremd geworden? So könnte ich es auch sagen. Du bist es immer noch. Das kann und will ich nicht glauben. Warum quälst du dich in einem fort? Sicher nicht, weil ich Freude daran habe. Ich bin mir nicht sicher. Ich drehe mich um. Da ist niemand. Ich trete aus dem Badezimmer. Suchst du mich? Ich verziehe das Gesicht zur Fratze. Da fragst du noch? Mir reicht mein Auf und Ab. Ich kann wirklich nicht mehr. Habe ich dies nicht schon einmal gehört? Ich halte mir die Ohren zu. Beginne zu summen. Mmm, mmmmh, mmmmmmmmmmh. Vergesse das Atmen. Schnappe nach Luft. Muss husten. Gib auf! Kapituliere! Es ist besser so. Niemals. Und wenn ich dabei zu Grunde gehe. Wie du meinst. Mir zittern die Knie. Ich kann mich kaum auf den Beinen halten. Kippe zurück und falle auf mein Bett. Ich kapituliere. Endlich. Gut so. Bist du zufrieden? Warum sollte ich zufrieden sein? Es geht doch nicht um mich. Du bist am Ende, nicht ich. Mein Sein ist zeitlos. Unbestimmt. Kennt kein Leiden, keinen Schmerz. Lass mich Anteil an einem solchen sein haben! Ich habe genug gelitten. Es muss zu einem Ende kommen. Jede Hoffnung auf einen guten Ausgang habe ich hinter mir gelassen. Sag mir, was soll ich tun? Mach ein Ende! Dir ist nicht mehr zu helfen. Helle Blitze umkreisen mich. Ich kapituliere. Hörst du nicht? Weiß, grau, Schwarz.

Fluchtartig verlasse ich mein Zimmer. Stürme auf den Flur. Frida bleib stehen! Eine Hand greift nach mir, will mich festhalten. Ich reiße mich los. Weg hier! Mit letzter Kraft erreiche ich die Treppe, folge der Schwerkraft abwärts. Taumle, als ich unachtsam eine Stufe auslasse. Verliere dabei gänzlich mein Gleichgewicht. Der Aufprall nimmt mir das Bewusstsein. 

Frida! Alwines Stimme kommt mir verzerrt entgegen. Hörst du mich? Ich versuche zu nicken. Carmen sag auf der Krankenstation Bescheid! Wir brauchen Hilfe.

Mir brummt der Schädel. Meine Finger ertasten einen Verband. Ich kann dich riechen. Alwine bist du hier! Frida?! Wie gut, dass du wieder bei Bewusstsein bist. Was ist passiert? Du bist gestürzt und hast dir beim Aufprall auf eine Treppenstufe ein schweres Schädelhirntrauma zugezogen. Du warst über eine Woche im künstlichen Koma. Hier? Nicht hier. Im Stadtkrankenhaus. Wir haben die entsprechenden Geräte nicht. Gestern hat man dich zurückgeholt und heute Morgen zurück zu uns gebracht. Ich bin so froh, dass du wieder unter den Lebenden bist. Gibt es etwas, an das du dich erinnern kannst. Ich schüttle den Kopf und bereue es sogleich. Vorsicht! Vorerst wirst du ruckhafte Bewegungen mit dem Kopf vermeiden müssen. Ich greife nach ihrer Hand, drücke sie und halte sie fest. Ihr Daumen fährt mir sanft über meinen Handrücken. Ich habe dich vermisst. Du klingst nicht erfreut!? Ich war sehr in Sorge um dich. Es sah nicht gut aus. Dein Kopf völlig verdreht, blutüberströmt. Wie eine aufgeplatzte Kartoffel. Verhalten versuch ich, zu lachen. Entschuldige! Es war wirklich knapp. Knapp! Du hast viel Blut verloren. Du wirst noch eine Weile brauchen, bis du wieder die Alte bist. Die Alte?! Wer sagt, dass ich je wieder die Alte sein will? Du erinnerst dich. Nein! An den Sturz nicht. Aber all das Grauen davor. Ich bin doch nicht ohne Grund hier. Warum habt ihr mich nicht einfach am Boden liegen lassen? Frida, was soll das? Ich ziehe meine Hand aus der ihren. Wende meinen Kopf, soweit es geht, zur Seite. Soll das alles von Neuem beginnen? Ich kann nicht mehr. Ich bin endgültig am Ende. Wozu das alles noch? Ich habe dich vermisst. Meinen widerwärtigen Zustand? Nein. Ich habe Frida vermisst. Dich habe ich vermisst. Deine spitzen Bemerkungen. Dein ganzes verrücktes Wesen. Ein Kribbeln steigt in mir auf. Mir wir ganz warm. Frida! Ist dir nicht gut? Rot. Du bist … wie eine Feuerkugel?! Ich weiß. Nun ist sie es, die meine Hand ergreift und sie fest drückt. Wann komme ich auf mein Zimmer. Voraussichtlich Morgen im Laufe des Tages, wenn alles gut verläuft und die letzten Untersuchungen keine Auffälligkeiten mehr erkennen lassen. Ich kann es kaum erwarten. Was? Ich will dir etwas zeigen. Dir scheint es doch wieder besser zu gehen. Vielleicht. Immerhin ist es dir möglich, neue Pläne zu schmieden. Ich strahle sie an. Da ist es wieder. Das Funkeln in den Augen. Ich freue mich, dass du es wieder zeigen kannst. Wirst du kommen? Was meinst du? Hörst du mir nicht zu? Ich möchte dir etwas zeigen. Ach so. Wirst du also kommen? Ich werde da sein. Ich bin gespannt, was du für ein Gesicht machen wirst. Wenn? Wart’s ab! Du wirst schon sehen. Du wirst überrascht sein. Meinst du? Ich bin sicher. So oder so. So oder so?! Genug der Andeutungen. Komm weiter zu Kräften. Schließlich will ich erfahren, was du so Überraschendes für mich hast. Nur für dich. Wenn uns jemand zuhören würde … Was würde er denken? Lass gut sein. Ich muss los. Auf der Station ist Teamsitzung mit Fr. Doktor. Grüß sie von mir und sag ihr, ich würde sie bald schon wieder heimsuchen! Wie hatte ich nur einen Augenblick daran zweifeln können. Du bist einfach nicht unterzukriegen. Immer noch die Alte. Besser nicht.