Haben Sie etwas für mich. Etwas? Sie wissen schon. Können Sie mir nicht etwas geben und alles ist vorbei. Um mich ist alles dunkel. Und immer wenn ich denke, es geht aufwärts, holt mich das Schwarz aufs Neue ein. Ich möchte nichts sehnlicher als alles endlich hinter mir lassen. Das geht nicht. Was? Ich kann dir nichts geben. Rot. Schwarz. Was hindert Sie? Sie wollen doch sicher auch, dass die Gesellschaft von Menschen wie mir befreit wird. Oh Gott, was redest du da? Es gab eine Zeit, da ging man nicht so zimperlich mit uns um. Ich kann dir nicht folgen. Sie können! Mich ekelt. Das ganze Leben ekelt mich an. Machen Sie ein Ende mit mir! Ich bitte Sie! Entgeisterte Augen schauen mich an. Ich nehme ein Zucken in ihren Augenwinkeln wahr. Nun machen Sie schon. Frau Doktor steht auf, wendet sich ab und geht ans Fenster. Als sie sich wieder umdreht, stehen Tränen in ihren Augen. Weißt du eigentlich. Ihre Stimme bricht. Ich sehe sie an. Sie schnappt nach Luft. Weißt du? Was soll ich wissen? Reden Sie schon! Ich spüre, wie sie im Begriff ist, ihre Fassung zu verlieren. Was ist verwerflich an meinem Wunsch? Ich will nicht mehr. Und ich kann nicht mehr. Sie geben sich ja redlich Mühe mit mir. Aber es wird nichts mehr. Sie zittert am ganzen Körper. Bringen wir es hinter uns! Ich bin bereit. Du weißt nicht, was du redest. Hast du eine Ahnung? Sie geht zu Boden. Scheiße, Frau Doktor. Was soll denn das? Es geht um mich und nicht um Sie. Rot. Nun hören Sie auf mit dem Theater! Sie liegt vor mir. Wie ein erlegtes Tier. Ich beuge mich hinunter. Meine Hand wandert intuitiv zu ihrem Hals. Ich ertaste wie ein Kommissar ihren holpernden Puls. Frau Doktor, hören Sie mich? Seltsam wie gelassen ich bleibe. Soll sie doch krepieren, wenn sie mir nicht helfen kann. Rot. Eine unbändige Hitze frisst sich eruptiv durch meinen Leib. Ich eile zum Fenster und reiße es auf. Kalte Winterluft strömt mir entgegen. Erst jetzt merke ich, dass es über Nacht geschneit hat. Der Garten liegt unter einer dichten Schneedecke. Frida, es hat geschneit. Wirklich. Kommt, sieh! Wollen wir heute Schlittenfahren. Jetzt. Nein später. Ich sehe zu, dass ich früher von der Arbeit komme. So gegen drei. Dann haben wir noch Zeit vor dem Dunkelwerden. Au ja!. Du kannst nach der Schule den Schlitten schon einmal aus dem Keller holen und die Kufen mit Speckschwarte präparieren. Mach ich. Können wir nicht jetzt schon? Später. Ich verspreche es. Frida! Ich schließe hastig das Fenster und drehe mich um. Frau Doktor! Kannst du mir aufhelfen!? Ich reiche ihr die Hand. Schwankend nimmt sie auf ihrem Besprechungssofa Platz. Komm, setz dich zu mir! Was war mit Ihnen, Frau Doktor? Lass mich erst mal ganz zu mir kommen. Ein leichtes Zittern, wie ein Nachbeben, geht durch ihren Körpern. Ist Ihnen nicht gut? Soll ich jemanden holen? Lass nur. Es geht schon wieder. Ich habe nicht den Eindruck. Doch, doch. Die Vergangenheit, ich meine, meine Vergangenheit. Was ist mir ihr? Sie hat mich gerade eingeholt. Ich bin verwundert. Nein, Frau Doktor, das alles hier ist nur gut inszeniert. Sie wollen mich nur. Frida, hör mir zu! Sie wollen mir doch nicht weißmachen, die gestandene Frau Doktor hätte auch ihre Abgründe. Frida! Sie sieht mich mit ernster Miene an. Entschuldigen Sie! Ich dachte wirklich. Ich würde dich auf den Arm nehmen. Ja. Um mich abzulenken. Und irgendwie ist es Ihnen ja gelungen. Es ist nicht so. Deine Worte haben bei mir, ich kann nicht sagen warum, oder vielleicht doch. Sie haben auf jeden Fall eine alte Wunde aufgerissen. Ich weiß immer noch nicht so recht, ob ich ihr glauben kann. Sie scheint meine Gedanken zu erraten. Es ist anders, als du denken musst. Bist du bereit, etwas Vertrauliches zu hören? Nur zu, ich bin ganz Ohr. Es bleibt unter uns? Es bleibt unter uns. Versprochen. Gespannt sehe ich ihr tief in die Augen. Sie hält meinem Blick stand. Es gibt nur wenige, die wissen, warum ich hier arbeite. Mein Vater hätte es lieber gesehen, wenn ich direkt nach dem Studium in seine Praxis eingestiegen wäre. Wie? Nach der dunklen Zeit hat er eine eigene Praxis aufgemacht. Sein Wunsch war es, dass ich sie eines Tages übernehme. Und? Ich glaube, ich muss etwas ausholen. Mein Vater war wie ich Arzt. In der dunklen Zeit. Wovon reden Sie, dunkle Zeit? Ich meine den Krieg. Dann sagen Sie es doch. Sie wollen doch sonst auch, dass man die Dinge beim Namen nennt. Im Krieg war er Arzt hier. Hier? Ja hier. Sie schluckt. Hier sind furchtbare Dinge geschehen. Bis heute habe ich nicht herausfinden können, ob mein Vater mitgemacht hat. Mitgemacht? Man wollte damals die Gesellschaft reinigen. Frau Doktor, bitte reden sie so, dass ich sie verstehen kann. Frida, es fällt mir nicht leicht. Sie macht eine Pause. Ich versuche, mich zu erinnern, was ich über die dunkle Zeit weiß. Furchtbare Dinge. Dies halte ich für eine Untertreibung. Es war grässlich, was geschehen ist. Anfangs kam ich her, weil ich dachte, ich könnte in alten Akten eine Antwort auf meine Fragen finden. Man hat alle Akten jedoch rechtzeitig vernichtet. Mein Vater wollte nie über jene Zeit sprechen. Erst viel später, ich war schon Jahre hier, wurden alte Fälle aufgerollt. Es kam zu Prozessen, bei denen auch der Name meines Vaters fiel. Bis heute weiß ich nicht, was wirklich war. Warum sind Sie heute noch hier? Es gibt doch Angenehmeres, als sich mit uns Bekloppten zu beschäftigen. Mit Menschen, die wie ich das Leben einfach nicht auf die Reihe bekommen. Mich erfüllt die Arbeit mit euch Bekloppten. Kann es sein, dass Sie etwas gut machen wollen? Sie antwortet mir nicht sogleich. Ertappt! Vielleicht. Aber ist das noch wichtig. Es sind schon so viele Jahre hier. Ich habe längst die Schuld meines Vaters beglichen. Schuld? Ich dachte, Sie wissen nicht. Nein, ich habe keine Beweise. Aber ich spüre es. Irgendetwas lag, seitdem ich denken kann, wie ein Schatten auf ihm. Auf jeden Fall, als du vorhin anfingst, ich solle dir etwas geben, hat es in mir klick gemacht. So viel ist sicher. Auch hier sind Menschen ermordet worden, weil man sie für Ungeziefer hielt, unwürdig weiter zu leben. Du wirst nun verstehen, dass ich deinem spontan geäußerten Wunsch nicht, unter keinen Umständen nachkommen werde. Blaugrün. Weiß. Ich schäme mich. Werden Sie mich jetzt an Dr. Wittig abgeben? Nein, mein Liebe. Ich mag dich. Und ich wünsche mir für dich, dass du bald erhobenen Hauptes diese Mauern verlässt. Weißt du schon, wohin du willst? Auf eine einsame Insel. Ich zögere. Auf jeden Fall weit weg von hier. Wollen Sie mit? Ich werde es mir überlegen. Aber nun entschuldige mich! Die Zeit ist längst um und ich sollte mich etwas zurechtmachen. Ich fühle mich wie ein Zombie. Zombie? Sie Frau Doktor. Auf keinen Fall.