Erhobenen Hauptes diese Mauern verlassen. Dass ich nicht lache. Du schon wieder. Wer sonst, könne dich mit dem erbärmlichen Sein deiner Existenz konfrontieren. Ein guter Zuspruch von Frau Doktor und du bist auf Wolke 7. Wie? Ich bin weit davon entfernt. Also streichst du die Segel? Ich werde nicht aufgeben. Und wenn es das Letzte ist, was ich noch hinbekomme. Eben hörte sich das alles noch anders an. Ein kleiner Schwächeanfall. Schwächeanfall? Du warst völlig am Ende. Selbst wenn. Dein Insistieren hilft mir nicht weiter. Ich weiß, wie es um mich steht. Ich brauche Zuspruch und nicht demotivierende Attacken. Also scher dich zum Teufel! Wie oft soll ich es dir noch sagen?! Frida! Wie geht es dir? Alwine, schön dich zu sehen. Meine schlechtere Hälfte macht mir das Leben gerade wieder einmal zur Hölle. Ich bin fix und fertig. In den letzten Tagen ging es mir schon einmal besser. Ich habe eben davon gehört. Wovon? Frau Doktor. Sie hat von unserem Gespräch vorhin berichtet. Hätte ich mir denken können. Manchmal ist sie nicht besser als dieser Ungeist. Dass keiner verstehen kann, dass man Dinge bisweilen nur aussprechen will. So eine innere Reinigung. Alles raus, was gerade in einem ist und zu Boden drückt. Sie nickt. Sagst du dir nie, dass du nicht an dem Ort bist, an dem du sein willst? Und an dem Ort, an dem du wirklich bist, kannst du nicht sein. Das Leben kann doch nicht nur darin bestehen, ständig sich mit allem arrangieren zu müssen. Nur zu gut. Wenn diese inneren Schleifen nicht endlich aufhören, dann … Ach, ist schon gut. Das habe ich Frau Doktor gesagt. Du hast sie um Hilfe gebeten. Das ging zu weit. Dein Leben bleibt dein Leben. Die Verantwortung dafür trägst du allein. Rot. Ich kann es nicht mehr hören. Du magst Recht haben. Damit ist der Irrsinn in meinem Kopf keineswegs gebändigt. Das Leben ist grausam. Es hat grausame Seiten. Was ein Anderer ständig schlecht redet, versuch ihr in gleicher Manier ins Positive zu wenden. Nehmen wir einmal an, ich könnte das Grauen meiner Vergangenheit wirklich irgendwann ganz klar erfassen. Was hätte ich davon? Wer wird diese Geschichte schon hören wollen? Es ist doch keine Geschichte von Glanz und Gloria. Wenn es dir gelänge … Du glaubst auch nicht daran. Nun dreh mir doch nicht jedes Wort im Mund um! Ich fühle mich missverstanden, besser unverstanden. Ich werde mit anderen Fällen verglichen, gewogen und je nach dem für leicht oder doch für zu schwer befunden. Vielleicht lassen wir das mit dem Reden für den Augenblick. Wir drehen uns im Kreise. Ich habe nun frei. Was hältst du von einem Spaziergang. Wir könnten eine Runde durch den Schnee drehen. Gerne. Ich schmeiße mir nur etwas drüber. Unten am Ausgang in den Garten. Am Ausgang. Bis du warm genug angezogen. Sie deutet auf meine Strickjacke. An manchen Stellen ist sie fast durchgestoßen und erinnert mehr an einen alten Scheuerlappen. Lass gut sein, Mama. Sie lacht. Ich will nicht gleich wieder umkehren müssen. Etwas Frost wird mir guttun. Die frische Luft wird meine Lebensgeister wecken. So, glaubst du. Nein, ich weiß es. Glaubst du an Gott? Ich sehe sie verwundert an. Schüttle den Kopf. Also nicht? Ich weiß nicht. Was soll die Frage? Ich dachte nur. Du hast gerade so vehement „Ich weiß es.“ gesagt. Und? Vergiss es. Und du? Früher. Als Kind. Nun ja. Es hat irgendwie dazugehört. Im Augenblick, eigentlich seit Jahren befasse ich mich nicht sonderlich mit solchen Gedanken. Obwohl, vor einigen Jahren hatten wir hier einen ziemlich krassen Fall. Eine Jugendliche, mehr kann ich nicht sagen, aber was spielt das schon für eine Rolle. Wirst du irgendwann so über mich reden? Ein Jugendliche, eine Verrückte, die sich das Leben nehmen wollte, nur weil jemand sie vergewaltigt hat. Frida! Lass das. Das ist unwürdig. Warum sollte ich so über dich reden. Warum solltest du überhaupt über mich reden. Redest du draußen mit anderen über mich? Nein. Hör auf damit! Die Jugendliche. Was war mit ihr? Ich bleibe stehen und betrachte meine Spuren im Schnee. Weiß. Ich stelle mir vor, mein verkorkstes Leben würde unter einer frischen Schicht Neuschnee einfach verschwinden. Alwine ist einige Schritte vorgegangen. Sie bleibt ihrerseits stehen und sieht zurück. Du willst zurück! Ist dir kalt? Nein, nein. Ich komme schon. Weiß. Ich habe gerade daran gedacht, wie angenehm es wäre, meinen Ganzen Schmutz unter pulvrigem Neuschnee zu verbergen. Damals, als die Jugendliche. Eine Sie also. Hat sie auch einen Namen. Nennen wir sie Ella. Vielleicht gibst du dann Ruhe. Oder interessiert es dich nicht. Doch, doch. Fahr nur fort! Damals hatten wir einen ziemlich harten Winter. Ella mussten wir wiederholt völlig unterkühlt aus dem Garten holen. Einmal hatte sie sich sogar eine Schneehöhle gegraben. Wir fanden sie erst nicht. Auf jeden Fall gehörten ihre Eltern irgendeiner frommen Gemeinschaft an. Einer Sekte? Kann ich nicht sagen. Sie waren jedenfalls der Meinung, ihre Tochter bräuchte keine Pillen. Sie kamen jeden Abend und haben stundenlang um das Bett ihrer Tochter gesessen und gebetet. Manchmal brachten sie andere mit. Es hatte etwas Unheimliches. Unheimlich? Der Vater hatte einen sehr finsteren, stechenden Blick. Und wie ging es weiter? Am Ende haben ihre Eltern sie wieder rausgeholt. Rausgeholt? Sie haben sie auf eigene Verantwortung mit nach Hause genommen. Was ist aus ihr geworden? Ich weiß es nicht. Sie ist jedenfalls nie wieder bei uns aufgetaucht. Spurlos verschwunden, wie schön. Frida! Dein schwarzer Humor ist nicht angemessen. Was weißt du schon. Jeder von uns hier wäre froh, wenn er sich einfach davon machen könnte. Rot. Hast du eine Ahnung, wie es in uns wirklich aussieht? Sie schweigt. Bin ich zu weit gegangen? Sie wendet sich ab. Entschuldige! Es war nicht so gemeint. Es ist nur. Du weißt schon. Bin wohl doch nicht so ahnungslos? Entschuldige! Lass uns einfach die frische Luft genießen. Ich finde heute keine passenden Worte. Oder sage Dinge, die andere nur irritieren. Das macht es mir nicht leichter mit mir. Schweigen? Schweigen. Weiß. Es hat von neuem zu Schneien begonnen. Dicke Flocken tanzen um uns herum. Mit ausgestreckter Zunge versuche ich, sie zu fangen. Alwine lacht mir zu. Sie macht es mir nach.