Nicht zurückschauen

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Predigt zum Sonntag Okuli

08.03.2015 San Mateo – Bogotá

Lukas 9

57 Und als sie auf dem Wege waren, sprach einer zu ihm: Ich will dir folgen, wohin du gehst.

58 Und Jesus sprach zu ihm: Die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege.

59 Und er sprach zu einem andern: Folge mir nach! Der sprach aber: Herr, erlaube mir, dass ich zuvor hingehe und meinen Vater begrabe.

60 Aber Jesus sprach zu ihm: Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes!

61 Und ein andrer sprach: Herr, ich will dir nachfolgen; aber erlaube mir zuvor, dass ich Abschied nehme von denen, die in meinem Haus sind.

62 Jesus aber sprach zu ihm: Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.

 

Liebe Gemeinde,

vor mir sehe ich jemanden zögerlich voranschreiten. Immer wieder schaut er sich zurück. Sein Blick ist fragend. Was sucht er? Ich bleibe selbst stehen und schaue zurück. Ich sehe nichts. Nein, das stimmt nicht. Ich sehe nichts, was erkennen lässt, wohin der Blick der Person vor mir hingegen könnte.

So folge ich der Person eine Weile, ohne es wirklich beabsichtigt zu haben.

Sie sieht sich weiterhin um. Kommt kaum vorwärts.

Irgendwann scheint sie mich wahrzunehmen, bleibt stehen und spricht mich an:

„Folgen sie mir?“

„Nicht direkt und doch irgendwie schon. Manchen Sie sich bitte aber keine Gedanken. Ich will Ihnen nichts. Ich war nur so gebannt von Ihnen.“

„Warum denn das?“

„Nun ja, Sie gehen die ganze Zeit vor sich hin, schauen sich immer wieder um. Einmal habe ich gedacht, sie suchen etwas, sind sich nicht sicher, ob sie auf dem richtigen Weg sind.“

„Kennen Sie das nicht. Das, was vor einem liegt, macht einen manchmal unsicher und so schauen wir zurück. Wir suchen nicht wirklich etwas. Vielleicht eine Art Bestätigung, das wir auf dem richtigen Weg befinden.“

„Aha.“

„Mein Herr, darf ich Ihnen eine Geschichte aus der Bibel erzählen.“

Nun gut denke ich und nicke leicht.

„Jesus hatte im Laufe seines Wirkens viele Anhänger. Immer neu kamen Menschen dazu. Sie hörten ihm zu. Manche waren begeistert, von dem was er zu sagen hatte. „Ihr seid das Salz der Erde.“ Ja, etwas Besonderes, dachten sie, wollten sie auch sein. Und so beschlossen sie, ihm nachzufolgen. „Meister, wir wollen dir folgen“, sagten sie. „Nur zu“, antwortete Jesus. „Gut“, sagte einer, „ich will heute noch ein großes Abschiedsfest geben und werde dann Morgenfrüh mit dir gehen.“ Jesus schaute ihn verwundert an. „Morgen? Nein, wir werden heute noch aufbrechen. Heute Nacht werden wir schon im nächsten Dorf erwartet.“

Ich habe ihm bis hierhin gespannt zugehört. Ich bin nicht sicher, ob ich alles recht verstanden habe und schaue ihn fragend an. Wortlos. Er sagt jedoch nichts.

„Nun sag schon!“, fordere ich ihn auf.

„Was?“, entgegnet er trocken.

„Du wolltest mir eine Geschichte erzählen und nun?“

Eine Weile schweigen wir uns an. Dann ergreift er erneut das Wort.

„Stell dir vor, ich wäre Jesus… also nicht wirklich… nur so in Gedanken… und du würdest mir begegnen, rein zufällig, wie wir uns heute begegnet sind.“

„Ja, und?“, frage ich.

„Du wärst mir, also Jesus, begegnet… und ich würde dich einladen mit mir zu kommen.“

„Warum sollte ich? Mir geht es gut, ich habe keinen Anlass etwas in meinem Leben zu verändern.“

„Nehmen wir an, du hättest doch einen Grund… und du wärst angetan, von dem was ich, also Jesus, dir gerade über das Leben im Allgemeinen erzählt habe. Du hättest den Eindruck, es sei etwas, was du schon lange in deinem Leben vermisst hättest. Würdest du spontan mit mir, Jesus, mitgehen?“

„Wohl kaum. Ich kann mich doch nicht einfach aus dem Staub machen. Ich habe Familie und Kinder. Was sollen sie denken, wenn ich heute Abend nicht mehr auftauche.“

„Siehst du, so seid ihr Menschen. Wenn der Augenblick in eurem Leben gekommen ist, aufzubrechen, dann schaut ihr zurück.“

„Bist du Jesus? Oder willst du dich lustig über mich machen?“

Plötzlich ist dieser Jemand, der eine Zeit vor mir herging, der sich immer wieder umschaute und mit dem ich dann ins Gespräch kam, vom Boden verschluckt. Weg, einfach so.

Ich schaue mich um, finde niemanden.

Auf einer Bank in einem nahegelegenen Park nehme ich Platz. Ich denke nach. Was war das, was ich gerade erlebt habe.

Mir kommt ein Ausspruch Jesu in den Sinn:

„Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.“

Gilt dies auch mir? Mir, der ich doch seit so vielen Jahren mit Gott unterwegs bin?

Bin ich es wirklich, frage ich mich nach einer Weile.

Einige Vögel sitzen vor mir im Gras.

„Sie säen nicht, sie ernten nicht… und ihr himmlischer Vater nähret sie doch.“

Fehlt es mir an Glauben?

Noch eine Frage. Was ist nur heute los mit mir, denke ich.

Einer der Vögel schaut mich offensichtlich fragend an. Er trippelt auf mich zu. Er bleibt vor mir stehen und schaut mich weiter nun von unten mit leicht schräg liegendem Köpfchen an.

„Guten Morgen, mein Herr.“

Nein, nicht auch noch das. Ich träume, denke ich.

„Du träumst nicht, mein Herr“, entgegnet der Vogel.

Ich schaue weg und tue so, als habe ich nichts gehört.

„Was ist los mit dir?“

Der Vogel scheint unbeeindruckt.

„Ich weiß, dass du sprechende Vögel nicht für möglich hältst. Aber, so ist es doch mit vielen Dingen, die wir für unmöglich halten. Wenn sie sich dann doch eines Tages ereignen, können wir alles nicht recht für wahr halten. Wir schauen zurück und wollen verstehen. Die Vergangenheit jedoch gibt keine Antwort… und doch fehlt uns der Mut, es mit dem, was vor uns liegt, einfach zu wagen.“

Ich kann nichts erwidern. Der komische Vogel hat Recht.

„Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.“

Der Vogel ist lange weg. Ich sitze immer noch da auf der Bank. Mittlerweile hat sich eine ältere Dame neben mich gesetzt. Sie füttert die Vögel.

„Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.“

Ich sage diesen Satz immer und immer wieder vor mich hin.

Irgendwann schaut mich die ältere Dame an. Ich habe offensichtlich für sie hörbar gesprochen.

„Junger Mann, wissen Sie, als wir am Ende des letzten Krieges unsere Heimat verlassen und flüchten mussten, ich war damals gerade 7 Jahre alt, da habe ich nicht mehr zurückgeschaut. Es hat mir innerlich das Herz zerrissen, aber ich wusste: Wenn ich zurückschaue, dann habe ich keine Möglichkeit, später an anderer Stelle mein Leben fortzusetzen. Heute lebe ich hier in dieser fernen großen Stadt und bin doch glücklich.“

Die alte Dame lächelt mich an.

Irgendwie bin ich gerührt von ihren Worten.

An diesem Tag gehe ich anders nach Hause. Irgendwie beschwingter.

Danke, Gott, denke ich. Danke, dass du mir die Augen für etwas geöffnet hast, was so bedeutsam ist:

Wenn wir dir nachfolgen wollen, deinem Reich hier auf Erden Gestalt geben wollen, dann kommt es darauf an, den Blick nach vorne zu richten.

Gelassen und Mutig dürfen wir voranschreiten. Wir brauchen uns nicht zu sorgen, denn du bist bei uns und gibst uns, was wir zum Leben brauchen.

Ja, ich will meine Hand an den Pflug legen und dem Weg deines Sohnes folgen. Ja, sage ich mir: So sei es!

Amen.