Auf dem Weg nach Bethlehem

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Es ist längst dunkel im Wald. Das Streifenhörnchen Trixi und der Wolf Lupo haben es nicht eilig. Die Zeit der Schulferien hat begonnen und sie müssen in den nächsten Wochen morgens nicht mehr so früh aufstehen.

„Puh, endlich Ferien“, seufzt Trixi.

„Das kannst du wohl sagen. Warum musste Herr Kittel noch eine Mathearbeit vor den Ferien schreiben. Multiplizieren ist wirklich nicht mein Ding.“

„Dafür bist du in Sport beim Laufen spitze.“

„Ob mir das hilft? Kannst du mir in den Ferien vielleicht etwas Nachhilfe in Mathe geben. Ich habe wirklich den Eindruck, ich habe die Arbeit vergeigt?“

„Gerne, wenn du mich im Laufen etwas trainierst?!“

„Mach ich.“

Trixi bleibt plötzlich stehen und schaut Lupo fragend an.

„Was ist los?“, fragt dieser.

„Kommst du noch mit?“

„Wohin?“

„Wie, hast du in der letzten Relistunden nicht mehr aufgepasst. Herr Schuster hat doch ausdrücklich zum Gottesdienst heute an Heilig Abend in der Kapelle am Rande unseres Waldes eingeladen.“

„Gottesdienst, Heilig Abend? Wovon sprichst du? Vergiss bitte nicht, dass ich noch nicht so lange bei euch bin. All eure Gewohnheiten kennen ich nicht.“

„Also Heilig Abend, ist ein besonderer Abend bei den Menschen. In dieser Heiligen Nacht soll Jesu, der Sohn Marias und Josefs, geboren worden sein. Später sagte man, er sei Gottes Sohn gewesen. Und da das ganze in einem Stall stattfand und Ochs und Esel, also Tiere, auch dabei waren, meinte im letzten Jahr Pfarrer Herzlich, wir Tiere aus dem Wald könnten auch mitfeiern.“

Lupo sah Trixi, etwas skeptisch an.

„Geht das nicht nun doch etwas zu weit? Ich bin immer noch ein mehr oder weniger gefährlicher Wolf. Was werden die anderen Tiere sagen, wenn ich auftauche?

„Was sollen sie sagen? Sie werden erfahren, dass Weihnachten Menschen aber auch Tier verwandelt. Ein alter Prophet, dessen Namen ich vergessen habe, hat einmal gesagt:

Da werden die Wölfe bei den Lämmern wohnen und die Panther bei den Böcken lagern. Ein kleiner Knabe wird Kälber und junge Löwen und Mastvieh miteinander treiben. Kühe und Bären werden zusammen weiden, dass ihre Jungen beieinander liegen, und Löwen werden Stroh fressen wie die Rinder.

„Und du meinst, ich werde dich heute zum Strohfressen in die Kapellebegleiten? Ich habe Hunger, richtigen Kohldampf und wenn ich nicht zum Vegetarier geworden wäre, dann würde ich dich jetzt glatt auffressen. Mmmh….“

Trixi macht einen Satz zur Seite.

„Keine Angst, mein Lieber, ich werde dich nicht fressen, aber Stroh auch nicht.“

„Lupo, das mit dem Stroh ist doch nur ein Beispiel gewesen.“

„Wofür? Erkläre es mir.“

„Eigentlich war für dich dieses Jahr schon Weihnachten?“

„Weihnachten, wieso denn das?!“

„Nun ja, seitdem du bei uns bist, hat sich doch vieles verändert. Du frisst keine Streifenhörnchen mehr und wir haben keine Angst mehr vor dir.“

„Wart ab, dass kann sich jederzeit ändern!“

„Nicht doch. Lupo bleib doch einen Augenblick etwas ernst.“

„Entschuldige! Ich höre.“

„Also, der alte Prophet wollte den Menschen damals sagen, dass irgendwann jemand kommen wird, mit dem sich alles verändert.“

„So, wie mit mir.“

„Nicht ganz… hör zu… Dieser Jemand war Jesus. Er hat davon gesprochen, dass mit ihm eine neue heilige Zeit beginnen wird und alles anders wird… und selbst Feinde bei den Menschen oder Tieren werden friedlich beieinander sein.“

„So, so… und warum gibt es, soweit ich gehört habe, immer noch überall Krieg auf der ganzen Welt… und an die vor kurzem vor unserem Wald lagernden Wölfen, kann ich dich auch gerne noch erinnern.“

Trixi wird nachdenklich, so spontan fällt ihm nichts Passendes ein. So gehen sie weiter und weiter, bis sie plötzlich vor der Kapelle stehen. Von drinnen kommt ihnen ein warmes Kerzenlicht entgegen.

Trixi und Lupo treten ein. Niemand scheint sie zu bemerken. Von Vorne ist ein leises Pfeifen zu hören. Als sie näher herantreten erkennen sie Meister Waschbär. Er ist umringt von Ochs und Esel und allerlei Personen. Alles wirkt aber irgendwie unwirklich.

„Ich habe noch nie einen roten Ochsen gesehen“, flüstert Lupo Trixi ins Ohr.

„Quatsch“, raunt Trixi zurück, „das sind doch alles Tonfiguren. Der einzige Lebendige ist Herr Waschbär.“

„Fürchtet euch nicht!“, ist eine helle Stimme zu hören. Trixi und Lupo drehen sich erschrocken um und erkennen ein Mädchen mit weißen gewandt und Flügeln.

„Das ist wohl der Engel Gabriel“, erklärt Trixi Lupo.

Lupo reißt die Augen weit auf.

Der Engel setzt seine Rede fort: Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.“

Der Engel spricht zu Ende und tritt ab.

Lupo steht immer noch mit aufgerissenen Augen und weit geöffneten Mund da.

„Na, das ist aber eine Überraschung.“

Mit diesen Worten begrüßt Pfarrer Herzlich Trixi und Lupo. Er hat sie erst jetzt wahrgenommen.

„Seht, liebe Gemeinde, wer den Weg zu uns, oder besser gesagt zum Jesuskind gefunden hat. Darf ich euch das Streifenhörnchen Trixi und den zahmen Wolf Lupo vorstellen. Wenn das nicht wahre Weihnacht ist.“

Ein neugieriger Junge verlässt die Kirchbank und läuft auf Lupo zu. Die Mutter ist so erschrocken, dass sie nichts machen kann. Wie versteinert bleibt sie sitzen. Pfarrer Herzlich schaut sie besänftigend an. Lupo schmeißt sich auf den Rücken, so dass der Junge ihm auf dem Bauch krabbeln kann und in zu Streicheln beginnt.

Auf dem Heimweg ist Lupo immer noch ganz ergriffen und gerührt.

„Wenn das Weihnachten ist, dann kann für mich jeden Abend Heilige Nacht sein.“