
Predigt zum Sonntag vor der Passionszeit – Estomihi
Ev.-Luth. Epiphanias-Gemeinde
Guatemala – 27.02.2022
Pfr. Thomas Reppich
Markus 8
34 Und er rief zu sich das Volk samt seinen Jüngern und sprach zu ihnen: Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. 35 Denn wer sein Leben behalten will, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird’s behalten. 36 Denn was hilft es dem Menschen, die ganze Welt zu gewinnen und Schaden zu nehmen an seiner Seele? 37 Denn was kann der Mensch geben, womit er seine Seele auslöse? 38 Wer sich aber meiner und meiner Worte schämt unter diesem ehebrecherischen und sündigen Geschlecht, dessen wird sich auch der Menschensohn schämen, wenn er kommen wird in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen Engeln.
Liebe Gemeinde,
In diesen Tagen wird der kriegerische Einmarsch russischer Truppen in der Ukraine von weiten Teilen der Welt massiv verurteilt. Und doch müssen wir zugeben, die Welt dreht sich weiter. Das bunte Treiben der Karnevalisten wird kaum Schaden daran nehmen. In Düsseldorf ist zu erwarten, dass der eine oder andere Karnevalswagen Putin mehr als deutlich ins Visier nimmt. Es hat fast den Eindruck, als habe man die Olympischen Spiele in Peking gerade mal verstreichen lassen. Das sportliche Großereignis, zu dem viele Diplomaten des Westens gar nicht erst erschienen waren, wäre parallel zu dem, was jetzt begonnen hat, kaum denkbar gewesen.
Die Weltgeschichte wiederholt sich ein erneutes Mal, mit steter und zwanghafter Konsequenz. Die Not anderer wird zum Kalkül eigener Interessen. Stärke und Macht wird dort gezeigt, wo sie gerade noch möglich ist.
Auch die Kirchengeschichte ist voll von Irrungen und kriegerischen Auseinandersetzungen, die bis heute das Ansehen aller Christen belasten. Die Grundfrage, die sich immer wieder neu gestellt hat ist doch die: Kann ich die Not eines anderen Menschen dazu missbrauchen, meine eigene Stärke zu demonstrieren? Schärfer noch: Kann ich meine schwindende Macht dadurch stabilisieren, dass ich noch Schwächere überrolle und so vermeintliche Stärke zeige?
Im wirtschaftlichen Bereich ist es nicht anders. Ob lokal aufgestellte oder global operierende multinationale Konzerne, je für sich, folgen die meisten der Devise: „Expandiere, wo du kannst und nutze die Schwächen der anderen aus.“
Jesus konfrontiert uns mit einem anderen Weg:
Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.
Dorothee Sölle gehörte von je her zu den Theologinnen, die uns einen anderen Blick auf das Kreuz vermittelt hat. In ihrem Buch „Leiden“ sagt sie am Ende, ihre bisherigen Aufführungen zusammenfassend:
„Solange Christus lebt und seiner gedacht wird, werden seine Freunde bei den Leidenden sein.“
(Dorothee Sölle, Leiden, Kreuzverlag Stuttgart, 1973, S. 216.)
Was es heißt mitzuleiden und damit sein Kreuz auf sich zu nehmen führt sie im Weiteren aus:
„Dort, wo keine Hilfe möglich ist, erscheint er nicht als der überlegene Helfer, nur als der, der mit ihnen geht. Daß einer des andern Last trage, ist der simple und deutliche Ruf, der aus allem Leiden kommt. Es ist möglich, die Last tragen zu helfen, allem Reden über die letzte Einsamkeit des Menschen zum Trotz. Es ist eine Gesellschaft denkbar, in der niemand so allein gelassen wird, daß nicht jemand an ihn dächte und bei ihm bleiben könnte. Wachen und beten sind möglich.“ (ebd.)
Wie fern diese Sicht auf das Leiden anderer liegt, zeigt sich dort wo das Leiden anderer für die eigenen Interessen instrumentalisiert wird. Wie anders Nachfolge im Sinne Jesu ist, kann uns wieder bewusst werden, wenn wir uns an eigene Zeiten der Schwäche und Not erinnern.
Wir haben doch ein feines Gespür dafür, ob sich jemand uns zuwendet, weil er uns als Person wirklich im Blick hat, oder weil er mein Leiden als Chance für sich selbst ergreifen will – und sei es nur, um vor anderen gut dazustehen.
Mit Worten voller Hoffnung ermahnt uns Sölle:
„Es ist eine Gesellschaft denkbar, in der niemand so allein gelassen wird, daß nicht je mand an ihn dächte und bei ihm bleiben könnte.“ (ebd.)
Ihre Mahnung umreißt für mich keinen wünschenswerten Konjunktiv. Ich höre eine Aufforderung, die mich zum Handeln bewegen soll. Gleichsam, wie Jesus von Nachfolge spricht:
Wer mir nachfolgen möchte, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.
Nachfolge kann mir gleichzeitig zum eigenen Kreuz werden. Dies haben wir oft erlebt, wenn sie unsere eigenen Kräfte übersteigt.
Im Mitleiden mit anderen nehmen wir etwas auf uns, das unsere eigenen Kräfte übersteigen kann. Dann ist die Gemeinschaft aufgefordert, das mitzutragen, was eines ihrer Mitglieder alleine überfordert.
Das Angesicht der Welt wäre in weltpolitischen wie persönlichen Krisenzeiten ein anderes, wenn Mitleiden zur obersten Prämisse unseres Handeln werden könnte – nein, durch uns Christus Nachfolgende wird. Amen.