Beten – Rückzug und Rückkehr

2. Mose 33

7 Mose aber nahm das Zelt und schlug es draußen auf, fern von dem Lager, und nannte es Stiftshütte. Und wer den HERRN befragen wollte, musste herausgehen zur Stiftshütte vor das Lager. 8 Und wenn Mose hinausging zum Zelt, so stand alles Volk auf, und jeder trat in seines Zeltes Tür und sah ihm nach, bis er ins Zelt hineinging. 9 Und wenn Mose ins Zelt hineinging, so kam die Wolkensäule hernieder und stand am Eingang des Zeltes, und der HERR redete mit Mose. 10 Und alles Volk sah die Wolkensäule am Eingang des Zeltes stehen, und sie standen auf und neigten sich, ein jeder in seines Zeltes Tür. 11 Der HERR aber redete mit Mose von Angesicht zu Angesicht, wie ein Mann mit seinem Freunde redet. Dann kehrte er zum Lager zurück.

Liebe Konfirmanden,

Liebe Gemeinde,

wie real ist es z.B., sich in diesen Tagen bei Twitter die Rangliste der beliebtesten Protagonisten des neuesten Avengers-Films Endgames anzusehen. Oberfiesling Thanos führte die Liste an, den altbekannten Thor, Iron Man, Captain America und Hulk und wird dort in einer kurzen Sequenz gezeigt, wie er dem Zuschauer seine Hand entgegenstreckt.  Die Namen sagen Ihnen nichts? Da sind sie nicht allein. Ich habe keinen dieser Filme je gesehen. Doch twittert die Welt über ihn. Über 50 Millionen Tweets gibt es schon.

Die Faszination dieser Filme mit ihren surrealen Kulissen und fantastischen Figuren ziehen Millionen von Menschen rund um die Welt in den Bann. Jeder und jede weiß, wie an den Haaren herbeigezogen die Geschichten, wie fern sie von der Wirklichkeit sind. Science Fiction als Genre war immer schon gut und zieht nach wie vor Menschen in den Bann. Ob damals Raumschiff Enterprise oder heute Avengers. Immer geht es um Superhelden, die mal fieser mal netter sind.

So fantastisch die eben vorgelesene Episode sich auch angehört hat, Mose kann mit den modernen Helden nicht mithalten. Im Gegenteil, er taugt nicht für einen Actionfilm à la Hollywood. Bestenfalls als Comicfigur in einem Zeichentrickfilm. Zu harmlos, verglichen mit den Schlachten und Abendteuern die moderne Superhelden zu bestreiten haben.

Und doch ist das, was er erlebt, alles andere als alltäglich und wenn dann doch allzu menschlich.

Lange schon ist Moses mit seinem Volk Israel unterwegs. Die Stimmung ist nicht die beste, vor allem nicht, nachdem sich das Volk in seiner Abwesenheit ein Goldenes Kalb gegossen hatte. So kurz vor dem Ziel, dem Erreichen des verheißenen Landes, kommt es auf Abwege. Und Moses, mehr als frustriert und verärgert ist am Ende.

Wenn wir am Ende sind, suchen wir jemanden, mit dem wir noch einmal über alles reden können. Mit ihm hoffen wir Klarheit in das Dickicht unserer Erfahrungen zu bringen. Vor ihr wollen wir schonungslos offen unsere Gefühle ausbreiten.

Ähnlich macht es Moses. Er zieht sich zurück, baut ein Zelt auf, fern des Lagers der Israeliten und hofft, im Dialog mit Gott einen Ausweg aus seiner misslichen Situation zu finden. Was genau passiert wird nicht beschrieben. Es heißt schlicht: Der HERR redete mit Mose von Angesicht zu Angesicht, wie ein Mann der mit seinem Freunde redet.

Dieses Reden mit Gott nennen wir Beten. Auch wir ziehen uns meist zurück, in die Stille eines eigenen Zimmers, oder an einen für uns besonderen Ort.

Ein großer Schriftsteller hat einmal gesagt: Mein Leben begann in dem Augenblick, als ich nicht mehr vor den Dingen weglief.

Mose ist entsetzt, als er vom Berg Horeb zurückkehrt, jenem Ort, an dem Gott ihm die ersten Gesetzestafeln überreichte. Er sieht sein Volk tanzend um das goldene Kalb. Vor lauter Wut wirft er die beiden Tafeln vor sich auf den Boden. Sie zerschmettern und mit ihnen alles, was besiegelt schien.

So sind wir Menschen, wir werfen unser Leben fort, für einen einzigen Tanz ums goldene Kalb. Heute würde man sagen, für den einen ultimativen Kick. Am Ende liegen wir selbst am Boden und bekennen reumütig: Als ich das Leben in den Händen hielt, lief ich davon. 

Im Gebet vollziehen wir Menschen eine wundersame Wandlung. Auf der Flucht, allzu oft vor uns selbst, werden wir zu Suchenden. Wir suchen das verlorene Paradies, den Ort, an dem wir einst Glück fanden. Den Ort, vor dem wir flohen, weil das Glück bekanntlich in der Fremde liegt. Weil unsere Seele im Streben nach immer mehr keine Ruhe fand, dort, von wo sie aufbrechen musste.

Das Gebet lehrt uns Menschen eines zu allererst: Es ist Rückzug und Rückkehr an den Ort unseres Ursprungs, an die Quelle unseres Lebens.

Darum ist das Gebet viel weniger das Herabwünschen unerfüllter Erwartungen Richtung Himmel. Es ist Gewahrwerden einer einfachen Grundbestimmung, aus der eine heilsame Grundhaltung gegenüber dem Leben erwächst:  Wir verdanken unser Leben nicht uns selbst. Es gab immer etwas vor uns, lange bevor wir das Licht dieser Welt erblickten. 

Beten ist darum auch immer ein Stillwerden vor dem nicht unüberschaubaren Leben, in dass wir hineingelegt sind, manchmal uns selbst hineinlegen,. Wir sind wie einzigartige Steine in einem wunderbaren, vor allem aber grenzenlosen Mosaik.

Es kommt im Leben eines jeden Menschen der Tag, und für viele von uns bleibt es nicht bei diesem einzigen Tag, an dem wir hautnah erleben, wie brüchig und flüchtig unser Sein ist. 

Für diesen Tag wünsche ich uns allen einen Ort, wie Mose ihn für sich gefunden hat, einen Ort, an dem der Ewige mit uns redet, so, wie jemand mit einem guten Freund redet. Und im Schutz der Wolkensäule werden wir allen Kummer, alle Sorge abstreifen. Wir werden gestärkt zurückkehren und wissen, wo unser Ort ist, was zu tun ist, an welche Stelle wir unseren Mosaikstein in das große Mosaik des Lebens einzufügen haben.

O, HERR,

mögen unsere Seelen immer wieder Ruhe und Stärkung im Gegenüber zu dir finden. Amen.

Dickesbach, 04.05.2019