Süße Worte

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Hesekiel 

2,1 Und er sprach zu mir: Du Menschenkind, stelle dich auf deine Füße, so will ich mit dir reden. 2 Und als er so mit mir redete, kam der Geist in mich und stellte mich auf meine Füße, und ich hörte dem zu, der mit mir redete. 3 Und er sprach zu mir: Du Menschenkind, ich sende dich zu den abtrünnigen Israeliten und zu den Völkern, die von mir abtrünnig geworden sind. 8 Aber du, Menschenkind, höre, was ich dir sage, und widersprich nicht wie das Haus des Widerspruchs. Tu deinen Mund auf und iss, was ich dir geben werde. 9 Und ich sah, und siehe, da war eine Hand gegen mich ausgestreckt, die hielt eine Schriftrolle. 10 Die breitete sie aus vor mir, und sie war außen und innen beschrieben, und darin stand geschrieben Klage, Ach und Weh. 3,1 Und er sprach zu mir: Du Menschenkind, iss, was du vor dir hast! Iss diese Schriftrolle und geh hin und rede zum Hause Israel! 2 Da tat ich meinen Mund auf und er gab mir die Rolle zu essen 3 und sprach zu mir: Du Menschenkind, gib deinem Bauch zu essen und fülle dein Inneres mit dieser Schriftrolle, die ich dir gebe. Da aß ich sie, und sie war in meinem Munde so süß wie Honig.

Liebe Gemeinde,

es gehört wohl zum Amt eines Propheten, zu sagen, was gesagt werden muss. Auch dann, wenn es für die Zuhörer unangenehm ist. Hesekiel hat wie andere Propheten vor allem einen Auftrag: Er soll das vom Weg abgekommene Volk zurück auf den Pfad Gottes führen. 

Damals wie heute durchleben wir Zeiten, in denen Menschen dem Rad der Geschichte in die Speichen fahren. 

Es braucht Menschen, die Halt! rufen.

Menschen, die dem unabänderlichen Einhalt gebieten.

Menschen, die angetrieben von einem Reich Gottes hier auf Erden, nicht müde werden, gegen bestehende Zustände, gegen zum himmelschreiende Missstände, gegen offensichtliches Unrecht, gegen jede Form von Gewalt, gegen Krieg … und so vieles mehr die Stimme zu erheben.

Vor einigen Tagen lief im Fernsehen ein bemerkenswerter Film.  Schon der Titel „Weil du mir gehörst“ lässt schlimmes erahnen. Das Bild im Programmhinweis zeigt eine glückliche Familie. Eine lachende Annie, die von ihren ebenfalls lachenden Eltern eingerahmt ist. Schnell wird beim Sehen deutlich, dass dies aus einer fernen guten Zeit stammen muss, als alles noch in guten Bahnen verlief. Bis das Idyll zerbricht, die Eltern sich trennen und Annie zwischen die Fronten gerät. Als die Mutter beginnt, die Tochter systematisch dem Vater zu entfremden, hält Annie anfangs zunächst vehement noch dagegen. Sie glaubt an ihren sie liebenden Vater. „Papa kommt gleich!“, erklärt sie der Mutter. Sie spielt mit und bestärkt Annie darin, auch wenn sie längst weiß, dass er nicht kommen kann, weil sie das Treffen mit der Tochter aus fadenscheinigen Gründen abgesagt hat. 

Kinder, so kann ich aus eigener leidvoller Erfahrung sagen, müssen sich irgendwann entscheiden. Sie halten dieses perfide Spiel nur eine Weile aus. Meist klammern sie sich dann an den, der da ist, selbst wenn, wie im Fall der gerade beschriebenen Mutter, die Wahl eine Fehlwahl ist. Die Mutter manipuliert weiter, subtil, so lange, bis die Tochter dem Bild der Mutter vom Vater folgt und in Konsequenz jeden Kontakt zu ihm ablehnt. 

Eines Tages wird Annie ihrem Vater einen Brief schreiben. Sie wird ihn fragen, was sie noch tun müsse, damit er nicht länger Briefe und Päckchen schickt und warum er nicht begreifen könne, dass sie ihn nicht mehr sehen wolle. „Ich hasse dich. Ich will dich nie wieder sehen. Am besten wäre es, du wärst tot“, wird sie im kalt und abgeklärt schreiben. 

Immer wieder habe ich gedacht: „Das kann doch nicht sein.“ Am liebsten hätte ich in die Handlung eingegriffen, oder wenigstens „Halt!“ gerufen. 

Der Film endet damit, dass ein weiser Richter, die Eltern nötigt, wieder in Kontakt zu gehen und dem Vater das Umgangsrecht wieder zuspricht. Annie, die wenig später von der Mutter zum Vater gebracht wird, will diesen Kontakt nicht. Sie steht in der Wohnung des Vaters und fragt, ob sie auf ihr Zimmer gehen könne. Sie sei schließlich nur hier, damit die Mutter keinen Ärger bei Gericht bekomme.

In der Schlussszene sieht man die Tochter, wie sie sich auf ihr altes Bett setzt und den Blick durch ihr Zimmer schweifen lässt. Auf dem Schreibtisch liegen alle die Briefe, die ungelesen und zurückgesandt worden sind. Man kann förmlich erahnen, wie ihr Blick die Vergangenheit aufsaugt. 

Ich habe mir für Annie gewünscht, dass sie den Mut aufbringt, die Briefe zu öffnen, einen nach dem anderen zu lesen, sie ganz und gar in sich aufzunehmen, sie wie bei Hesekiel gar zu essen. Und dann wird sich doch noch alles zum Guten wenden. Und die Worte, werden in ihr süß sein wie der köstlichste Honig, Balsam auf ihrer Seele.

Es gibt Zeiten, wo sich die Dinge um uns derart verdrehen, dass wir uns und anderen Einhalt gebieten müssen. Das Leben wird uns nie vor Verwirrungen und Verirrungen schützen. Aber es gibt immer einen Augenblick, an dem das stille Ertragen, das Schweigen durchdrungen werden muss.

Hesekiel findet für diese Verwandlung eine wunderbare Beschreibung: Der Geist in der Schriftrolle wird zum Lebensodem und erquickt Geist und Seele. „Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Weg“, bekennt der Psalmbeter. (Ps 119,105)

Wenn wir von der frohen Botschaft der Bibel reden, bekunden wir damit vor allem: In ihr findet sich etwas, was manche die Quelle für ihr Leben bezeichnen, Orientierung im Umgang mit den Fragen, die uns das Leben stellt. Und es ist immer eine Botschaft, die uns auf die Füße stellt, wie Hesekiel es selbst erfahren konnte. Worte also, die uns die notwendige Erdung und Haftung geben.

Die Mystikerin Mechthild von Magdeburg hat einmal gesagt: „Gott ist das Licht und ich bin sein Leuchter.“

Werden wir zu Leuchtern, wenn sich Dunkelheit um uns ausbreitet! Tragen wir das Licht in Augenblicke voller Verstrickungen, Verachtung Missgunst und Hass! 

Gott leuchte in uns und erhelle die Welt durch uns! Amen.

Nahbollenbach 16.02.2020