
Er unterdrückte den Impuls, ihr zu widersprechen.
„Ich hätte nie geglaubt, dass du zu so etwas fähig bist. Du bist wie all die anderen.“
Sie griff zu ihrem Glas und warf nach ihm. Er zog den Kopf zur Seite. Es zersprang an der Wand.
„Sieh, wozu du mich bringst. Siehst du nun ein, wie sehr du mich verletzt hast.“
„Ich habe es nie in Frage gestellt.“
„So sehr habe ich mir gewünscht, dass du mir ein Zeichen deiner Reue gibst. Damals hätte dir vielleicht verziehen.“
„Und heute ist es zu spät?“
„Lenk nicht ab. Sag mir, warum du es nie bereut hast.“
„Hab ich. Aber du warst besessen von der Vorstellung, ich würde dir permanent untreu werden.“
„Wundert dich das? Alle haben mich verstanden. Nur du nicht.“
„Das ist eine Unterstellung. Ich habe dich verstanden. Ich habe mich für mein Fehlverhalten entschuldigt.“
„Eine Entschuldigung und die Welt ist wieder in Ordnung? Hast du das von mir ernsthaft erwartet? Weißt du, wie ich mich gefühlt habe? Alleingelassen und betrogen.“
„Du warst nie bereit für einen wirklichen Neuanfang.“
„Du?“
Er stand auf, schritt an die Terrassentür und schaute in den Garten. Ein Vogelpaar hüpfte im Spiel miteinander über den Rasen.
Der Himmel empfing ihn mit einem wolkenlosen Blau. Übernächtigt setzte er seine Fahrt fort. Die Aussicht bis zum Abend an der Küste zu sein, trieb in voran. Gedankenverloren schloss er die Augen, sah hinaus auf das silber leuchtende Meer. Im letzten Augenblick nahm er den Schatten einer auf die Fahrbahn springenden Tramperin wahr. Er kam rechtzeitig vor ihr zum Stehen.
„Machen Sie das immer so?“, schrie er ihr durch das geöffnete Fenster entgegen.
„Ab und zu. Aber ich habe die Situation stets unter Kontrolle.“
„Wie Sie meinen. Ich gehe davon aus, Sie wollen mitgenommen werden?“
„Sie begreifen schnell. Ich möchte ans Meer. Sie fahren nicht zufällig in diese Richtung.“
„Rein zufällig doch. Steigen Sie schon ein!“
„Haben Sie es eilig. Sind Sie auf der Flucht?“
„Sehe ich so aus?“
Sie ließ seine Frage unbeantwortet, folgte seiner einladenden Handbewegung, schmiss ihren Rucksack auf den Rücksitz und nahm neben ihm Platz.
„Danke. Ich bin froh, dass ich nach der letzten erfolglosen Nacht nicht noch länger warten muss. Es war ganz schön frisch. Miriam, ich heiße übrigens Miriam.“
„Bis du fertig?“
„Fertig? Ich habe noch gar nicht angefangen.“
„Dann komme bitte auf den Punkt deiner Ausführungen! Ich hatte einen anstrengenden Tag und möchte bald ins Bett.“
„So, der Herr ist müde. Er hatte einen anstrengenden Tag, der Arme.“
„Ich bin wirklich erschöpft.“
„Erschöpft? Das schau mal einer her. Kann ich dir irgendwie helfen? Vielleicht eine Massage? So wie in den alten Zeiten, als du dich noch nach meinen Händen gesehnt hast. Sie sind dir wohl zu alt und unansehnlich geworden.“
„Bitte komme auf den Punkt!“
„Tue ich doch. Ich möchte verstehen, warum du mich in jener Nacht betrogen hast. Was hatte sie, was ich nicht habe?“
„Zahra! Bitte! Was soll das schon wieder? So wird nichts aus unserm Gespräch.“
„Wenn ich Fakten benenne, holst du die Todschlagkeule heraus und erklärst das Gespräch für beendet. Nur, weil es nicht so verläuft, wie du es gerne hättest.“
„Es geht doch nicht darum, was ich gerne hätte. Du willst wissen, warum ich?“
„Ja, warum hast du dich wie so ein mieses Schwein verhalten. Ich hätte dich damals umbringen können. Ich war schon auf der Suche nach einem Revolver.“
„Merkst du nicht welch skurrile Wendung unser Gespräch mehr und mehr nimmt. Jeder der uns zuhören könnte, würde uns für verrückt halten.“
„Aber nicht jede.“
„Lass die Spitzfindigkeit.“
„Wir Frauen sind also verrückt, nur weil wir euch unsere Meinung sagen, weil wir nicht einfach so weitermachen wollen.“
„Tut mir leid, aber ich kann es langsam nicht mehr hören, wie verletzt zu bist. Macht dich es gerade glücklicher, dies immer und immer wieder hervorzuheben.“
„Es sind reale Schmerzen. Ich habe eine Druck auf meiner Brust, wenn ich daran denke.“
„Dann denk an etwas anderes.“
„Typisch Mann, ihr habt keine Ahnung was in einer Frau vor sich geht.“
„Ich vergaß, ihr seid die einzigen, die wirkliche Schmerzen kennen.“
„Oh, meine kleine Mimose hat Aua.“
Resigniert schüttelte er den Kopf.
„Ich geh eine rauchen. Kommst du mit?“
„Was für ein Ignorant bist du eigentlich? Ich habe seit Jahren keine mehr angerührt. Wie genau bekommst du eigentlich mit, was ich mache?“
Er öffnete die Terrassentür und trat hinaus. Von draußen sah er, wie sie in einem fort hinter ihm her redete und beide Fäuste ballte. Minuten später betrat er wieder das Haus. Sie war verschwunden.
„Ich heiße Clemens. Lassen wir das mit dem Sie!“
Sie schaute mich fragend an. Ich hielt ihrem Blick stand.
„Was hast du im Kofferraum versteckt? Geldsäcke oder ein Leiche?“
Er lachte auf.
„Weder noch. Ich bin Hals über Kopf von zu Hause abgehauen. Nicht einmal eine Tasche mit dem Nötigsten habe ich eingepackt.“
„Ärger zu Hause?“
„Ärger? Das ist leicht untertrieben. Ich konnte dem Granatenhagel meiner Frau gerade noch entkommen.“
„Du erwartest nun aber kein Mitleid. Das ist nicht mein Ding. Wenn Männer klagen oder gar jammern, ist etwas faul.“
„Vorsicht! Oder willst du gleich wieder aussteigen?“
„Gehst du immer so schnell an die Decke?“
Er schüttelte den Kopf.
„Nein. Manchmal ja, so wie heute. Es war einfach zu viel. Bist du nachtragend?“
„Ich verstehe nicht ganz. Was willst du wissen?“
„Na, ob du Fehler auch so schlecht verzeihen kannst?“
„Es kommt darauf an. Was hast du denn ausgefressen?“
„Ich bin vor vielen Jahren einmal untreu gewesen. Das hat sie mir nie verziehen.“
„Irgendwie kann ich sie verstehen. Das ist hart, wenn der eigene Mann plötzlich eine andere hat.“
„Ich hatte keine andere. Es war für eine Nacht. Mehr nicht.“
„Das war alles.“
„Du kannst mich also verstehen?“